Kontinent-Kollision: Wenn sich Spannungsfelder aufgebaut haben
In Chile bebte am 27.02.2010 frühmorgens die Erde. Die massive Katastrophe zerstörte viele Küstenorte und weite Teile von Concepción, eine der grßsten Städte Chiles. Auch die Hauptstadt Santiago erlitt erhebliche Schäden. Hunderte Menschen fanden den Tod, etwa 2 Millionen weitere waren direkt betroffen von Verletzungen, Überschwemmungen, Obdachlosigkeit. Es war das fünftstärkste Beben, das seit Beginn der instrumentellen Aufzeichnungen Anfang des vergangenen Jahrhunderts weltweit gemessen wurde. Fünf Tage zuvor verteidigte der chilenische DAAD-Doktorand Marcos Moreno an der TU Berlin seine Dissertation, in der er das nächste grosse Erdbeben nördlich seiner Heimatstadt Concepción bereits prophezeite.
„In der Tat kam das Erdbeben nicht unerwartet. Die stärksten Beben ereignen sich stets an den Rändern kontinentaler tektonischer Platten, unter denen eine schwerere ozeanische Platte abtaucht“, erklärt Privatdozent Dr. Jürgen Klotz vom GeoForschungsZentrum Potsdam, der die Dissertation zusammen mit Prof. Dr. Gerhard Franz vom Institut für Angewandte Geowissenschaften der TU Berlin betreute. „Die Westküste Südamerikas ist ein Musterbeispiel für diese Ozean-Kontinent-Kollision.“ Hier taucht die ozeanische Nazca-Platte mit einer Geschwindigkeit von 6,5 Zentimetern pro Jahr unter Südamerika ab. Wenn die abtauchende Platte mit der vordersten Front des Kontinents verbunden ist, wird dieser elastisch zusammengedrückt. Irgendwann baut sich die so aufgestaute Deformation ruckartig in einem Erdbeben ab.
„Diese interseismisch genannte Deformation kann heute mit hochgenauen geodätischen Verfahren, zum Beispiel mit dem ,Global Positioning System (GPS), direkt gemessen werden“, so Klotz.
An der TU Berlin wurde bereits im Jahre 1987 ein Projekt zur Messung dieser Deformation in Chile initiiert. „Nach der Wende“, so erklärt Professor Gerhard Franz, „wurde dieses Projekt im Rahmen der Kooperation der Institute für Angewandte Geowissenschaften sowie Geodäsie und Geoinformationstechnik mit dem GeoForschungsZentrum Potsdam weitergeführt.“ „Es stellte sich bald heraus, dass die tektonischen Platten im jetzt gebrochenen Segment vollständig gekoppelt sind eine grosse Gefahr!“
Das letzte Megabeben in Chile fand am 20. Februar 1835 statt. „Es ist gut dokumentiert, denn der berühmte Naturforscher Charles Darwin hat es miterlebt“, erzählt Jürgen Klotz. „In diesen 175 Jahren hat sich an Chiles Küste eine erhebliche Spannung aufgebaut. Leider gehört zu den grossen Unsicherheiten bei der Bebenvorhersage, dass wir nicht oder nur schwer abschätzen können, wie sich das Spannungsfeld in diesem langen Zeitraum tatsächlich verhält.“ Genau das hat der Diplomgeologe Marcos Moreno untersucht, nämlich wie diese Deformation in den südlichen Anden abgebaut wird. Er kam zu dem Ergebnis, dass der tektonische Aufbau der kontinentalen Kruste in den Anden ein dauerhaftes Merkmal dieses Kontinentalrandes ist und die Struktur der ozeanischen Platte und ihrer Bruchzonen nur eine untergeordnete Rolle spielt. Modellhaft konnte er auch zeigen, dass die genaue Geometrie der seismogenen Zone, entlang der das Gestein während eines Bebens bricht, grossen Einfluss auf die messbare Oberflächendeformation hat. Seine Dissertation bestimmte den Grad und die Ausdehnung der Plattenkopplung entlang dieser seismogenen Zone genauer und zuverlässiger als bisher. So folgerte Marcos Moreno, dass die Wahrscheinlichkeit für ein Erdbeben im jetzt tatsächlich gebrochenen Segment am höchsten war.
„Tragischerweise konnte auch Marcos Moreno den Zeitpunkt des Bebens nicht exakt vorhersagen. Nach dem heutigen Stand der Wissenschaft ist das nicht möglich“, so Jürgen Klotz. Das Zusammenspiel der beteiligten Prozesse sei einfach zu komplex. Es könnten nur Wahrscheinlichkeiten angegeben werden, wann und wo Erdbeben einer bestimmten Grße auftreten könnten. Doch man ist zuversichtlich: „Das Beben vom 27. Februar wird uns auf jeden Fall eine Fülle neuer Informationen zum Verständnis des Erdbebenprozesses liefern.“
Quelle: Technische Universität Berlin