Erdbeben in Haiti: Eine Welle der Hilfsbereitschaft
Eine Welle der Hilfsbereitschaft ist nach dem Schock des verheerenden Erdbebens von Haiti weitweit ausgelöst worden. Unzählige Menschen haben bei der Naturkatastrophe ihr Leben verloren, wurden verletzt oder obdachlos. Zunächst steht die Katastrophenhilfe im Mittelpunkt der internationalen Bemühungen, aber schon bald wird es an den Wiederaufbau gehen. Erdbeben-Experte Professor Dr. Jürgen Pohl von der Universität Bonn empfiehlt, ihn als Daueraufgabe und Chance zu begreifen. Denn: „Nach dem Beben ist vor dem Beben!“
„Der Wiederaufbau nach einem Erdbeben stellt für die Betroffenen die eigentliche Herausforderung dar“, ist Professor Pohl überzeugt. Er beschäftigt sich seit Jahren mit dem Wiederaufbau-Management nach schweren Erdbeben. „Der Wiederaufbau dauert im Regelfall rund zehn Jahre und läuft in vier Phasen ab“, erklärt Professor Pohl. Nach Bergung der Toten (1) und Beseitigung der gröbsten Schäden (2) stellt sich wieder ein provisorischen Alltagsleben ein. Es folgt eine systematische Wiederaufbauplanung (3), die schliesslich verwirklicht wird (4).
Die lange Dauer der ersten Nothilfephase ist erfahrungsgemäss aber ein schlechtes Vorzeichen für einen raschen Wiederaufbau. Bei einem Wiederaufbau werden oft nicht nur die Verhältnisse vor der Katastrophe wiedergeherstellt, sondern ein verbesserter Status erreicht. Diese Chance hat auch Haiti – vorausgesetzt das im Moment offene Gelegenheitsfenster („Window of opportunity“) wird genutzt und die internationale Hilfe ist auch strukturorientiert und langfristig. Der Geowissenschaftler mahnt: „Es muss im Rahmen des Wiederaufbaus gelingen, Haiti widerstandsfähiger gegenüber zukünftigen Erdbeben zu machen.“
Hilfe zu dauerhafter Selbsthilfe
Das Erdbeben kann auch eine Chance sein, das schwere historische Erbe Haitis besser zu bewältigen, genau dieses Erbe kann aber auch substantielle Strukturverbesserungen unterminieren. Die fehlenden Infra- und Verwaltungsstrukturen begünstigen eher einen fremdgesteuerten Wiederaufbau, aber die Hilfen können auch eine Grundlage für eine (dauerhafte) Selbsthilfe bilden.
Beim Wiederaufbau drohen aber auch unerwünschte Nebenwirkungen in Form von sozialen Spannungen. „Katastrophen sind immer auch Katalysatoren für soziale Prozesse“, sagt Professor Pohl. Schon bei der Unterbringung in Notunterkünften sei darauf zu achten, dass alle Betroffenen gleichartige Unterkünften erhalten, denn sonst entstehen soziale Spannungen. Ebenso gilt es, bei der Planung für möglichst viel Verteilungsgerechtigkeit zu sorgen.
Quelle: Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn