Was bedeuten Bakterien und Viren für Nord- und Ostsee?
Amerikanische Expedition analysiert mikrobielle Lebensgemeinschaften gemeinsam mit deutschen Kollegen
Am Wochenende wird das Segelschiff Sorcerer II mit einem amerikanischen Wissenschaftlerteam vom J. Craig Venter Institute (JCVI) auf Helgoland erwartet. Der Aufenthalt ist Teil einer einzigartigen globalen Messkampagne, um die Vielfalt mariner Mikroorganismen und ihre Rolle in den Stoffkreisläufen der Weltmeere zu erfassen. Das etwa 30 Meter lange Schiff startete seine Expedition am 19. März 2009 in San Diego, USA, überquerte den Atlantik und war letzte Woche in Plymouth, Grossbritannien. Auf dem Weg in die Ostsee wollen die renommierten Molekularbiologen gemeinsam mit Wissenschaftlern von der Biologischen Anstalt Helgoland (BAH) in der Stiftung Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung in der Helmholtz-Gemeinschaft die Nordsee beproben. Ein wichtiger Standort wird die so genannte Helgoländer Reede sein, wo Wissenschaftler der BAH seit über 40 Jahren Temperatur, Nährstoffgehalte und Artenzusammensetzung der Nordsee analysieren.
Die Wissenschaftler wollen Mikroorganismen, also Bakterien und Viren, identifizieren und charakterisieren, denn diese Organismengruppen spielen eine elementare Rolle in den Stoffkreisläufen im Meer. Welche Arten beziehungsweise Gemeinschaften dabei welche Aufgaben übernehmen, ist weitgehend unbekannt. Um diese Prozesse besser zu verstehen, nutzen die amerikanischen Forscher neueste Methoden aus der Molekulargenetik. Seit 2003 führt die Sorcerer II Messkampagnen in allen Weltmeeren durch. In einer einjährigen Pilotstudie haben die Wissenschaftler vom JCVI über 1,2 Millionen neue Gene und 1800 neue Arten mit ihrer Analysemethode entdeckt. Die Expedition 2009/2010 führt sie nach Europa und Helgoland wird als erster deutscher Hafen angelaufen. Danach segeln die Wissenschaftler weiter in die Ostsee, 2010 führt die Kampagne ins Mittelmeer und ins Schwarze Meer. An all diesen Orten werden sie mit standardisierten Verfahren Proben nehmen, die eine internationale Vergleichbarkeit der Ergebnisse gewährleisten. Wie bei den bisherigen Expeditionen werden die Daten in eine öffentliche globale Umweltgendatenbank eingespeist.
Die Kooperation mit dem JCVI eröffnet uns eine weitere Möglichkeit, unsere Langzeitdatenreihe von der Helgoländer Reede mit internationalen Partnern zu bearbeiten , freut sich Prof. Dr. Karen Wiltshire, Direktorin der BAH. Die BAH-Doktorandin Sonja Oberbeckmann nutzt die Gelegenheit, gemeinsam mit den amerikanischen Kollegen Wasserproben zu nehmen, um die Ergebnisse der Analysen anschliessend abzugleichen. Somit lassen sich die Daten der Helgoländer Reede besser mit den weltweit erhobenen Daten vergleichen. Zusätzlich zu dieser räumlich umfassenden Beschreibung mikrobiellen Lebens in den Ozeanen bestimmen die Wissenschaftler des Alfred-Wegener-Instituts bereits seit Jahrzehnten wöchentlich die auftretenden Mikroorganismen. Diese zeitlich hoch aufgelöste Erfassung ermöglicht ihnen, die Reaktion der Artengemeinschaften auf sich ändernde Umweltbedingungen, wie beispielsweise ansteigende Temperaturen oder Nährstoffgehalte, auf die vom Menschen stark beeinflussten Küstengewässer zu beurteilen.
Die Rolle der Mikroorganismen in den Stoffkreisläufen von Nord- und Ostsee untersuchen die Helgoländer Wissenschaftler auch gemeinsam mit Kollegen anderer deutscher Forschungsinstitute: Das vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderte Projekt MIMAS (Mikrobielle Interaktionen in Marinen Systemen) wird ebenfalls von dieser Probennahme profitieren. Die Projektpartner aus Greifswald (Ernst Moritz Arndt Universität und Institut für Marine Biotechnologie), Bremen (Jacobs University und Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie), Helgoland (Biologische Anstalt Helgoland in der Stiftung Alfred-Wegener-Institut) und dem Institut für Ostseeforschung in Warnemünde untersuchen in den kommenden drei Jahren an ausgewählten Standorten die Zusammensetzung und Funktion mariner mikrobieller Gemeinschaften. Durch eine Kombination aus DNA-, RNA- und Proteinanalysen können neue Erkenntnisse über ökophysiologische Leistungen und Anpassungen von Mikroorganismen im Ökosystem Meer erreicht werden. Ziel ist, eine Methode zum verbesserten Monitoring mariner Ökosysteme zu entwickeln, auch im Hinblick auf Prognosen für zukünftige Klimaveränderungen. Die Sequenzdaten der Sorcerer II aus der Nord- und Ostsee werden die Datengrundlage für das MIMAS Projekt erheblich erweitern und ermöglichen zum ersten Mal den globalen Vergleich von Meeresökosystemen auf molekularer Ebene , so Prof. Dr. Frank Oliver Glöckner, Arbeitsgruppenleiter Mikrobielle Genomik am Max-Planck-Institut für Marine Mikrobiologie und Professor of Bioinformatics an der Jacobs University in Bremen.
Quelle: awi