Pflanzenschutzmittel-Rückstände: Analyse und Bewertung
Deutsche Verbraucher empfinden Rückstände von Pflanzenschutzmitteln in Lebensmitteln als Risiko Nummer Eins, wenn es um Lebensmittel geht. Das zeigen Umfrageergebnisse des Eurobarometer, das die Europäische Kommission im Jahr 2006 veröffentlichte. Danach sind 69 Prozent der Deutschen besorgt über Rückstände von Pflanzenschutzmitteln auf Obst und Gemüse. Wirkstoffe von Pflanzenschutzmitteln können als Rückstände auf pflanzlichen Lebensmitteln an den Verbraucher gelangen. Diese Rückstände müssen aber so gering sein, dass sie die Gesundheit von Verbrauchern nicht schädigen. Dazu müssen gesetzlich geregelte Höchstmengen (Höchstgehalte) eingehalten werden. Ob dies der Fall ist, kontrollieren die amtlichen Überwachungseinrichtungen der Länder. Dafür brauchen sie effiziente Nachweismethoden, die das BfR prüft.
Pflanzenschutzmittel müssen zugelassen werden. Sie enthalten einen oder mehrere Wirkstoffe. Wirkstoffe sind chemische Elemente und Verbindungen oder Mikroorganismen, die gegen Schaderreger, zum Beispiel Insekten und Schimmelpilze, auf Pflanzen, Pflanzenteilen oder Pflanzenerzeugnissen wirken. Die meisten in Deutschland zugelassenen Pflanzenschutzmittel enthalten nur einen oder zwei Wirkstoffe. Es gibt wenige Mittel, die bis zu vier Wirkstoffe enthalten. Die Wirkstoffe werden nicht separat zugelassen, sondern immer als Bestandteil eines Pflanzenschutzmittels und der Anwendung, für die sie vorgesehen sind.
Pflanzenschutzmittel müssen zugelassen sein
Zulassungsbehörde für Pflanzenschutzmittel in Deutschland ist das Bundesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit (BVL). Beteiligt am Zulassungsverfahren sind weitere öffentliche Einrichtungen: Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) bewertet gesundheitliche Risiken von Pflanzenschutzmitteln für den Menschen, das Umweltbundesamt (UBA) bewertet den Einfluss von Pflanzenschutzmitteln auf die Umwelt und das Bundesforschungsinstitut für Kulturpflanzen (Julius Kühn-Institut, JKI) ihre Wirkung auf Pflanzen. Das BVL veröffentlicht eine Liste der in Deutschland zugelassenen Pflanzenschutzmittel auf seiner Internetseite. Im Mai 2008 waren danach in Deutschland 626 verschiedene Pflanzenschutzmittel unter 1060 Handelsnamen zugelassen. Diese Mittel enthielten insgesamt 253 verschiedene Wirkstoffe.
Rückstände dürfen die Gesundheit nicht gefährden
Auf Lebensmitteln, die mit Pflanzenschutzmitteln behandelt worden sind, können Reste von Wirkstoffen und deren Abbauprodukten verbleiben, die so genannten Pflanzenschutzmittel-Rückstände. Abbauprodukte von Wirkstoffen können im pflanzlichen Stoffwechsel gebildet werden oder zum Beispiel unter Einwirkung von Sonnenlicht entstehen. Rückstände auf Ernteprodukten lassen sich selbst bei guter landwirtschaftlicher Praxis und sachgerechtem, bestimmungsgemässen Einsatz von Pflanzenschutzmitteln nicht völlig vermeiden. Pflanzenschutzmittel werden zu unterschiedlichen Zeiten während der Vegetationsperiode eingesetzt. Ihre Wirkstoffe werden unterschiedlich rasch abgebaut. Insbesondere dann, wenn Pflanzenschutzmittel kurz vor der Ernte eingesetzt werden oder wenn ihre Wirkstoffe langlebig sind, muss zum Erntezeitpunkt mit Rückständen gerechnet werden. Sie müssen aber so niedrig sein, dass sie die Gesundheit von Verbrauchern nicht gefährden. Rückstände von Pflanzenschutzmitteln können vor allem auf pflanzlichen Lebensmitteln vorkommen. Aber auch tierische Lebensmittel können solche Rückstände aufweisen, wenn die Tiere pflanzliches Futter aufgenommen haben.
Es gilt das ALARA-Prinzip
Um sicherzustellen, dass von Pflanzenschutzmittel-Rückständen keine gesundheitliche Gefährdung der Verbraucher ausgeht, werden vor der Zulassung eines Mittels eine Reihe von Faktoren untersucht, so zum Beispiel, ob und wie giftig die Wirkstoffe sind, welche Stoffe sich bilden, wenn sich Rückstände abbauen und wie schnell sie sich abbauen. Prinzipiell sollen die Rückstände so niedrig wie möglich bleiben. Nach dem so genannten ALARA-Prinzip (As Low As Reasonably Achievable) sollen Rückstandshöchstmengen nur so hoch sein wie nach den Bedürfnissen der guten landwirtschaftlichen Praxis notwendig und nie höher als toxikologisch vertretbar. In umfangreichen Feldstudien wird daher ermittelt, mit welcher Menge und Anwendungshäufigkeit der beabsichtigte Effekt zu erreichen ist. Ein unter diesen Umständen maximal auftretender Rückstand wird nur dann als Rückstands-Höchstmenge für ein landwirtschaftliches Erzeugnis akzeptiert, wenn sichergestellt ist, dass die Konzentration nach dem Stand der wissenschaftlichen Erkenntnis keine schädlichen Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit hat.
Um eine solche Aussage treffen zu können, werden für die Abschätzung sowohl des chronischen wie auch des akuten Verbraucherrisikos verschiedene ungünstige Annahmen unterstellt, zum Beispiel im Hinblick auf Verzehrsmengen und -gewohnheiten. Die Bewertungsgrundsätze für die Abschätzung werden auf europäischer und internationaler Ebene (FAO/WHO) festgelegt. Die maximal zulässige Konzentration wird nach sorgfältiger Prüfung gesetzlich festgelegt, um Verbraucher vor gesundheitlichen Risiken zu schützen. Werden diese Rückstands-Höchstmengen eingehalten, sind die Produkte sicher im Sinne des gesundheitlichen Verbraucherschutzes. Lebensmittel dürfen auch nur dann verkauft werden, wenn die geltenden Rückstands-Höchstmengen eingehalten sind.
Toxikologische Grenzwerte in der Risikobewertung: ADI und ARfD
Ein Risiko durch Pflanzenschutzmittelrückstände wird auf der Grundlage von zwei toxikologischen Grenzwerten beurteilt: dem ADI und der ARfD.
ADI steht für Acceptable Daily Intake (duldbare tägliche Aufnahmemenge) und gibt die Menge eines Stoffes an, die ein Verbraucher ein Leben lang täglich ohne erkennbares Gesundheitsrisiko aufnehmen kann. Der ADI-Wert wird zur Bewertung des chronischen Risikos herangezogen, die Akute Referenzdosis (ARfD) zur Bewertung des akuten Risikos. Die ARfD ist ein vergleichsweise neues Instrument der Risikobewertung. Sie ist als die Substanzmenge definiert, die ein Verbraucher bei einer Mahlzeit oder bei mehreren Mahlzeiten über einen Tag ohne erkennbares Gesundheitsrisiko aufnehmen kann. Eine einmalige Überschreitung des ADI-Wertes fällt nicht ins Gewicht, denn der Wert berücksichtigt eine lebenslange tägliche Aufnahme eines Stoffes. Und auch eine kurzzeitige Überschreitung des ADI-Wertes stellt noch keine Gefährdung der Verbraucher dar. Hingegen lässt sich eine mögliche gesundheitliche Beeinträchtigung der Verbraucher durch eine einmalige oder kurzzeitige Überschreitung der ARfD nicht von vornherein ausschliessen. Ob eine Schädigung der Gesundheit tatsächlich eintreten kann, muss aber für jeden Einzelfall geprüft werden.
Grundsätzlich gilt: Bei Einhaltung der zulässigen Rückstands-Höchstmenge soll die Akute Referenzdosis nicht überschritten werden. Es sind aber zwei Konstellationen denkbar, die ein zeitlich begrenztes Abweichen von dieser Regel begründen können:
Eine Rückstands-Höchstmenge wurde abgeleitet, als die Abschätzung von Risiken durch die kurzfristige Aufnahme einer Substanz bei der Bewertung noch nicht zugrunde gelegt wurde. Erweist sich die Höchstmenge unter nachträglicher Einbeziehung der ARfD als zu hoch, ist ihre Anpassung in den bestehenden Gesetzen und Verordnungen erforderlich.
Es liegen neue wissenschaftliche Erkenntnisse vor, die eine Überprüfung bestehender toxikologischer Grenzwerte erfordern und eine Herauf- oder Herabsetzung der ARfD begründen können. Auch in diesem Fall kann eine Anpassung der Höchstmengen erforderlich werden.
Die Thematik der Mehrfachrückstände
Bei der Zulassung von Pflanzenschutzmitteln und der Festsetzung von Rückstands-Höchstmengen wird für alle Pflanzenschutzmittel-Wirkstoffe experimentell eine Dosis ermittelt, unterhalb derer keine toxische Wirkung mehr nachweisbar ist. Es ist daher möglich abzuschätzen, in welchem Dosisbereich diese Stoffe ohne gesundheitsschädliche Wirkung sind, selbst wenn mehrere Stoffe gleichzeitig als Rückstände auf Lebensmitteln vorhanden sein sollten (so genannte Mehrfachrückstände). Zwischen der im Tierversuch ermittelten Dosis mit biologischer Wirkung und dem daraus abgeleiteten toxikologischen Grenzwert liegen in der Regel zwei- bis dreistellige Sicherheitsspannen. Rückstands-Höchstmengen werden nur so hoch festgesetzt, wie es bei guter landwirtschaftlicher Praxis erforderlich ist, grundsätzlich jedoch nicht höher als es die toxikologisch begründeten Grenzwerte ADI und ARfD zulassen. Es ist somit praktisch ausgeschlossen, dass additive oder synergistische Wirkungen von mehreren Pflanzenschutzmittel-Rückständen in einem Lebensmittel zu gesundheitlichen Beeinträchtigungen der Verbraucher führen, sofern die zulässigen Höchstmengen für die einzelnen Wirkstoffe nicht überschritten werden. An der Entwicklung eines einheitlichen Konzeptes zur Bewertung des kumulativen Risikos von Rückständen aus der Anwendung von Pflanzenschutzmitteln wird derzeit auf europäischer Ebene – unter Beteiligung des BfR – gearbeitet. Eine Veröffentlichung der European Food Safety Authority (EFSA) ist in Kürze geplant.
Die Kontrolle obliegt den Länderbehörden
Für die Einhaltung der geltenden Höchstmengen sind Produzenten und Händler von Lebensmitteln verantwortlich. Ob sie ihrer Verpflichtung nachkommen, überprüfen die amtlichen Überwachungsbehörden der Bundesländer.
Für Verwirrung unter Verbrauchern sorgen zuweilen Pressemeldungen, wonach in Importobst oder -gemüse Pflanzenschutzmittel nachgewiesen wurden, die in Deutschland gar nicht zugelassen sind. Von diesen Mitteln geht aber nicht zwingend eine Gesundheitsgefährdung aus. Tatsächlich gibt es nämlich Pflanzenschutzmittel, die in anderen EU-Staaten zugelassen und toxikologisch bewertet sind, in Deutschland aber nicht – oder umgekehrt. Das kann verschiedene Gründe haben: Der häufigste ist, dass sich die Bedingungen für Landwirtschaft und Gartenbau in den verschiedenen Mitgliedstaaten der Europäischen Union unterscheiden. Das gilt für die Pflanzenarten, die Anbauweise und auch für die Schädlinge. So muss beispielsweise in einer Region Europas ein Schädling bekämpft werden, der in einer anderen Region gar nicht vorkommt. In letzterem Fall hat weder die Landwirtschaft Bedarf, noch ein Vertreiber ökonomisches Interesse, einen Antrag auf Zulassung eines Pflanzenschutzmittels zu stellen, das gegen diesen Schädling wirkt. Ein Produkt, das einen Wirkstoff aus einem im Erzeugerland zugelassenen Pflanzenschutzmittel unterhalb der dort zulässigen Rückstands-Höchstmenge aufweist, kann in Deutschland durchaus legal im Handel sein, wenn eine entsprechende Genehmigung beantragt wurde und eine Bewertung durch die deutschen Behörden erfolgt ist.
EU-einheitliche Regelungen ab September 2008
Diese für den Verbraucher wenig verständliche und für den freien Warenverkehr hinderliche Situation wird ab dem 1. September 2008 durch die Einführung EU-einheitlicher Regelungen verbessert. Künftig müssen die zulässigen Rückstandsmengen mehr als nur die nationalen Anwendungen berücksichtigen. Es ist zu erwarten, dass mit Inkrafttreten der EU-Verordnung über Höchstgehalte an Pestizidrückständen in oder auf Lebens- und Futtermitteln pflanzlichen und tierischen Ursprungs (396/2005) verschiedene Höchstmengen im Vergleich zur deutschen Rückstands-Höchstmengenverordnung steigen. Trotzdem geht das BfR nicht davon aus, dass das Schutzniveau für die Gesundheit sinkt, weil gewährleistet ist, dass die gesundheitlich begründeten Grenzwerte – ADI und ARfD – eingehalten werden. Seit Inkrafttreten der Harmonisierung der Prüfung von Pflanzenschutzmittel-Wirkstoffen in der Europäischen Union im Jahr 1991 (Richtlinie 91/414 EEC) ist die Zahl der in der EU in zugelassenen Mitteln enthaltenen Wirkstoffe von etwas mehr als 700 im Jahr 1994 auf heute rund 400 gesunken. Dabei wurden viele gesundheitlich bedenkliche Stoffe vom Markt genommen.
Analytik von Pflanzenschutzmittel-Rückständen als Herausforderung
Um eine Höchstmenge festsetzen zu können, müssen nicht nur gesundheitliche Risiken beurteilt werden, die Rückstände müssen auch analytisch bestimmbar sein. Geeignete Analysenmethoden zum Nachweis der Rückstände von Pflanzenschutzmitteln in Lebensmitteln und Trinkwasser, aber auch Methoden zum Rückstandsnachweis in allen Bereichen der Umwelt (Wasser, Boden und Luft) muss der Antragsteller (in der Regel der Hersteller eines Mittels) im Rahmen der Zulassung eines Pflanzenschutzmittels zur Verfügung stellen. Das Bundesinstitut für Risikobewertung bewertet die Eignung dieser Verfahren nach festgelegten Richtlinien und durch eigene experimentelle Arbeit im Labor. Die analytischen Erfahrungen gibt das BfR an die Untersuchungslaboratorien in den einzelnen Bundesländern weiter.
Abhängig von den gesetzlich geregelten Höchstmengen müssen Pflanzenschutzmittel-Rückstände in und auf Lebensmitteln im Bereich von einigen Milligramm pro Kilogramm bis zu drei Mikrogramm pro Kilogramm bestimmt werden. Da üblicherweise nur zehn bis 100 Gramm einer Probe untersucht werden, enthält das Untersuchungsmaterial zum Teil nur drei Nanogramm (0,003 Millionstel Gramm) eines Wirkstoffs. Um diese geringe Menge nachzuweisen, sind aufwändige Untersuchungsverfahren notwendig. Sie beginnen stets mit der Extraktion der Probe und führen zu einer Lösung, die die Pflanzenschutzmittel-Rückstände neben vielen anderen löslichen Stoffen der Probe enthält. Häufig werden diese Extrakte in chemischen Verfahren weiter gereinigt. Die geringen Rückstandsmengen dürfen dabei nicht verloren gehen. Schliesslich erfolgt die quantitative Bestimmung – erneut mit aufwändigen Analysensystemen.
Multimethoden ermöglichen hohe Kontrolldichte
Eine effiziente Analyse ist möglich, wenn sehr viele Pflanzenschutzmittel-Wirkstoffe in einem Arbeitsgang nachgewiesen werden können. Eine hohe Kontrolldichte lässt sich nur mit so genannten Multianalyt-Methoden erreichen. Verlangt die Kontrolle eines Stoffes jedoch gesonderte, auf den einzelnen Wirkstoff zugeschnittene Methoden (Einzelmethoden), kann nur mit geringerer Kontrolldichte kontrolliert werden. Einzelmethoden werden deshalb meist nur in begründeten Verdachtsfällen angewandt. Das bekannteste Beispiel dafür war der Einsatz von unerlaubten Wachstumsregulatoren in Äpfeln und Birnen aus Belgien, den Niederlanden und Deutschland, der in den Jahren 2000/2001 aufgedeckt wurde und zu zahlreichen Rückrufaktionen führte. Auch die manchmal hohe Instabilität von Pflanzenschutzmittel-Wirkstoffen kann die Analytik vor Probleme stellen. So gibt es Stoffe, die schon bei der üblichen Extraktion zerfallen und dabei kleine, schwer nachweisbare Moleküle bilden.
Legale und illegale Stoffe im Visier
Neben den Rückständen von Pflanzenschutzmitteln enthält der Extrakt einer Lebensmittelprobe mehrere Tausend unterschiedliche natürliche Inhaltsstoffe. Eine Aufklärung der Identität all dieser Stoffe ist nicht sinnvoll. Deshalb werden Analysengeräte darauf ausgerichtet, nur die rechtlich geregelten Stoffe zu suchen. Bisher in Europa unbekannte, schon lange verbotene oder illegal produzierte Stoffe können dabei allerdings übersehen werden. Deshalb werden heute von den Analytikern verstärkt Strategien entwickelt, um auch solche Stoffe nachzuweisen.
Die Untersuchungsstrategie bei der Überwachung von Lebensmitteln sollte darauf ausgerichtet sein, möglichst alle Verstße gegen geltende Regelungen aufzudecken. Es kann nicht immer nach allen Pflanzenschutzmittel-Wirkstoffen in allen Lebensmitteln gesucht werden. Die Lebensmittelkontrolle kann aber über eine geeignete Stoffauswahl eine hohe Zahl nicht verkehrsfähiger Produkte entdecken. Dabei wird die Untersuchungsbreite den sich stets verändernden Märkten so gut wie möglich angepasst.
ende bfr-p
Quelle: BFR