Formale Sprache, schwere Sprache?
Mathematik und natürliche Sprache werden grundsätzlich unterschiedlich verarbeitet
Nicht nur in der Forschung, sondern auch im Alltag unterscheiden wir zwischen natürlichen und formalen Sprachen. Auch wenn uns natürliche Sprachen auf den ersten Blick vertrauter vorkommen, begegnen wir formalen Sprachen – wie beispielsweise Programmiersprachen oder mathematischen Formeln – nicht viel seltener. Beiden Sprachformen liegt eine Grammatik zugrunde; insofern sind sie strukturell miteinander verwandt. Wie eine Studie von Roland Friedrich und Angela D. Friederici vom Leipziger Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften jetzt nachweisen konnte, gibt es jedoch Unterschiede in ihrer neuronalen Verarbeitung: Das menschliche Gehirn verarbeitet die Syntax mathematischer Formeln bei weitem nicht so automatisiert wie die natürlicher Sprachen, sondern mit wesentlich höherem kognitivem Aufwand. (PLoS ONE, 28. Mai 2008)
Wenn a kleiner b und b kleiner c, dann a kleiner c : Obwohl uns diese Formel mit einer mathematischen Syntax konfrontiert, also einer rein formalen Beziehungen zwischen ihren Zeichen, die selbst ohne konkrete Inhalte oder Zahlenwerte sind, ist ihre Aussage verständlich. Sie ist ein typisches Beispiel für formale Sprachen. In modernen, von einer starken Technologisierung geprägten Gesellschaften wachsen Menschen damit fast selbstverständlich auf. Vom Mathematikunterricht in der Schule bis hin zum Umgang mit Programmiersprachen nehmen formale Sprachen im täglichen Leben einen festen Platz ein.
Eine formale Sprache zeichnet unter anderem aus, dass sie aus einem begrenzten Zeichenvorrat, dem Alphabet, eine beliebige Anzahl von Ausdrücken bilden kann. Den einzelnen Zeichen werden dabei per Definition – abhängig vom jeweiligen Anwendungsgebiet – Bedeutungen zugewiesen. Dadurch sind diese Sprachen hochgradig effektiv, da sie keinen Raum für Missverständnisse bieten – im Gegensatz zu historisch gewachsenen natürlichen Sprachen.
Wissenschaftlern am Leipziger Max-Planck-Institut für Kognitions- und Neurowissenschaften ist es nun gelungen, herauszu?nden, wo und wie formale Sprachen im Gehirn verarbeitet werden. Erstmalig hat man somit die menschlichen Hirnaktivitäten während der Verarbeitung einer formalen Sprache, wie sie im heutigen Alltag immer häu?ger vorkommt, lokalisiert.
Für die Studie kreierte der Mathematiker Roland Friedrich Formeln auf Basis einer gängigen formalen Sprache 1. Ordnung, die Buchstaben und mathematische Zeichen enthielt. Daraus bildete er mathematisch anmutende Ausdrücke, die gleich lang aber unterschiedlich komplex waren, jedoch allesamt bedeutungsfrei blieben. Nur so liessen sich die Hirnaktivitäten zur Verarbeitung der syntaktischen Struktur zweifelsfrei lokalisieren. Korrekte und inkorrekte Formeln wurden den Probanden in der üblichen (horizontalen) Schreibweise mit der Aufgabe präsentiert, sie zu lesen und zu überprüfen. Danach sollten sie entscheiden, ob das Gezeigte formal richtig oder falsch gebildet worden war. Mithilfe der funktionellen Magnetresonanztomografie (fMRT), mit der sich die Aktivität einzelner Hirnregionen registrieren lässt, wurden dann jene kognitiven Prozesse im Gehirn beobachtet, die diese Aufgabe bei den Probanden auslöste.
Vorhergehende Studien zur neuronalen Verarbeitung mathematischer Formeln waren stets mit konkreten Zahlenwerten durchgeführt worden und hatten Aktivierungen besonders im intraparietalen Sulcus (IPS) gezeigt, weshalb dieser Region der „Zahlensinn“ zugeschrieben wurde. „Uns interessierte aber vor allem, wie die neuronale Verarbeitung beispielsweise von mathematischer Syntax ohne eine zugehörige Semantik funktionieren kann – wie wir also entscheiden können, ob mathematische Formeln grundsätzlich korrekt sind, ohne dass wir ihre Variablen z. B. durch Zahlenwerte ersetzen müssten“, erklärt Roland Friedrich.
Die fMRT-Aufnahmen bei dieser Studie zeigten verstärkt Aktivitäten in verschiedenen Hirnregionen: im intraparietalen Sulcus (IPS), im linken inferioren frontalen Gyrus (IFG) sowie in Gebieten, die um das eigentliche Sprachzentrum, das Broca-Areal, herum lagen. Die Aktivität im IPS war für die Forscher besonders überraschend, da frühere Studien hier den sogenannten „Zahlensinn“ lokalisiert hatten, die im Versuch von Friederich und Friederici verwendete formale Sprache jedoch vollständig auf konkrete Zahlen verzichtete. Die Forscher schliessen daraus, dass natürliche Sprachen das Broca-Areal aktivieren, während formale Sprachen zusätzlich solche Gebiete aktivieren, die vor allem in Denksportaufgaben involviert sind.
Quelle: Max-Planck-Gesellschaft