Bei Blutgefässen „Schalter“ für Wachstum identifiziert
Entdeckter Steuermechanismus des Gefässwachstums reagiert auf zwei Proteine, die das Wachstum „ein-“ oder „ausschalten“ können
Nichts im menschlichen Körper funktioniert ohne Blutgefässe, die in einem verzweigten Netzwerk Sauerstoff und Nährstoffe in alle Organe transportieren. Bei Bedarf wird dieses Netz durch neue Verzweigungen erweitert, z. B. beim Wachstum oder der Wundheilung. Das Sprossen neuer Verzweigungen muss aber im ausgewogenen Verhältnis zum Erhalt des bestehenden Gefässnetzes erfolgen. Mangelnde und übermässige Bildung neuer Blutgefässe führt zu schweren Gesundheitsschäden. Auch Tumore nutzen das Wachstum der Gefässe für ihre eigene Versorgung. Münsteraner Forscher haben jetzt entdeckt, wie das Zusammenwirken zweier Proteine mit gegensätzlicher Funktion für das notwendige Gleichgewicht bei der Bildung neuer Gefässverzweigungen sorgt. Die Abteilung um Ralf H. Adams, der zugleich Professor der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster und Direktor am Max-Planck-Institut für molekulare Biomedizin ist, konnte zeigen, dass das Wachstum von Blutgefässen wie mit einem Schalter an- oder abgeschaltet werden kann. Dieser Mechanismus könnte neue Möglichkeiten zur Behandlung von Gefäss- und Krebserkrankungen eröffnen. (Cell, 12. Juni 2009)
An Beispielen wie Schlaganfall oder Herzkranzgefässerkrankungen kann man leicht erkennen, wie wichtig die Transportfunktion von Blutgefässen für unsere Gesundheit ist. Forscher suchen daher seit Jahrzehnten nach Möglichkeiten, die Neubildung von Gefässen und damit auch die Reparatur von Organschäden gezielt anzuregen. Umgekehrt gibt es aber auch unerwünschte Effekte durch die Bildung neuer Blutgefässe, die beispielsweise die Ausbreitung von Krebserkrankungen fördern oder bei Diabetikern zum Verlust des Sehvermögens führen können. Die Therapie verschiedener Krankheiten erfordert also ein Verfahren mit dem Neuverzweigungen im Gefässnetzwerk je nach Bedarf stimuliert oder blockiert werden können.
Den Forschern des Max-Planck-Instituts in Münster ist es nun erstmals gelungen, einen „An- und Ausschalter“ des Gefässwachstums zu identifizieren. Der „Schalter“ ist ein Rezeptor mit dem Namen ‚Notch‘, der auf der Oberfläche der Blutgefässzellen, so genannter Endothelzellen, sitzt. An diesen Rezeptor können verschiedene Oberflächenproteine andocken, die den „Schalter“ entweder auf „Ein“ oder auf „Aus“ stellen. Ist die Zelle „eingeschaltet“, ist sie für den Wachstumsfaktor VEGF empfänglich, der den „Befehl“ zur Zellteilung und damit zum Wachstum einer neuen Ader führt. Die einzelnen Komponenten dieses biochemischen Mechanismus waren bereits bekannt. Den Notch-Rezeptor (Schalter), das Oberflächenprotein Delta-like 4, kurz Dll4 (Aus), und den Wachstumsfaktor VEGF (Befehl zur Zellteilung) kannten die Forscher bereits aus früheren Experimenten. Auch das Protein ‚Jagged1‘, das den „Schalter“ auf die Position „Ein“ bewegt, war bekannt. Es handelt sich dabei ebenfalls um ein Oberflächenprotein, also ein Eiweiss, das auf der Aussenseite der Zellen sitzt und in Kontakt zu Notch-Rezeptoren benachbarter Zellen treten kann.
„Wir haben jetzt erstmals verstanden, wie diese einzelnen Komponenten zusammen wirken. Dass das Protein Jagged1 in dem Zusammenhang als „Einschalter“ wirkt, ist eine völlig neue Erkenntnis. In anstehenden Versuchen an Mäusen wollen wir lernen, das Gefässwachstum, ähnlich wie es in Zukunft einmal Medikamente beim Menschen leisten könnten, aktiv zu steuern“, erklärt Professor Dr. Ralf H. Adams.
Die Hemmung des Wachstumsfaktors VEGF (engl. ‚Vascular Endothelial Growth Factor‘) wird bereits seit einigen Jahren bei der Behandlung von Krebspatienten und bestimmten Augenerkrankungen eingesetzt. Leider ist diese Therapie sehr teuer und nur bei einem Teil der Patienten erfolgreich. „Da VEGF auch die Durchlässigkeit von Gefässen erhöht und dadurch zu Blutungen führt, kann dieser Faktor nicht zur therapeutischen Förderung des Gefässwachstums eingesetzt werden. Mit der Aufklärung der Funktion von Jagged1 hoffen wir, nun eine echte Alternative für zukünftige Therapieansätze gefunden zu haben“, ergänzt Dr. Rui Benedito, Zellbiologe der Abteilung Gewebebiologie und Morphogenese am Max-Planck-Institut.
„Neben der Wirksamkeit wird aber auch die Verträglichkeit dieses Ansatzes zunächst gründlich geprüft werden müssen“, erläutern Adams und Benedito und warnen damit zugleich vor übertriebener Hoffnung auf baldige Therapieansätze. „Notch, Dll4 und Jagged1 haben auch in anderen Organen und Zelltypen wichtige Aufgaben. Das macht eine Beschränkung der Wirkung auf Blutgefässzellen anspruchsvoll. Wir hoffen dennoch, dass unsere Arbeit zur Entwicklung neuer Medikamente führen wird.“
Die Studie erfolgte in Zusammenarbeit mit Professor Dr. Achim Gossler (Medizinische Hochschule Hannover) und war von Rui Benedito und Ralf Adams bei Cancer Research UK in London vor ihrem Umzug nach Münster (2008) begonnen worden. Die ausgezeichneten Arbeitsbedingungen am Max-Planck-Institut und die enge Zusammenarbeit mit der Westfälischen Universität Münster nennt Adams als wichtige Faktoren für die erfolgreiche Forschungsarbeit seiner Gruppe.
Quelle: Max-Planck-Gesellschaft zur Förderung der Wissenschaften e.V.