Außerirdische Insekten?
Es war eines der größten Rätsel der systematischen Insektenkunde: Die seltsamen Fächerflügler – in der Fachsprache Strepsiptera – entzogen sich trotz jahrzehntelanger Forschung hartnäckig einer taxonomischen Einordnung. „Diese Insekten sind in jeglicher Hinsicht ungewöhnlich“, betont Prof. Dr. Rolf Beutel von der Friedrich-Schiller-Universität Jena. Einen Teil ihrer Entwicklung durchlaufen sie als Parasiten in einem anderen Insekt, erläutert der Professor für Zoologie und Entomologie. Bei den meisten Arten verbringt das Weibchen sogar sein ganzes Leben in einem Wirtstier. Den Männchen ist dafür nur eine extrem kurze Lebenspanne von wenigen Stunden beschieden – ihre einzige Aufgabe ist es, in dieser Zeit ein Weibchen zu finden und sich fortzupflanzen. Über ein Dutzend verschiedene Insektengruppen haben die Forscher schon als nächste Verwandte der Fächerflügler diskutiert. „Scherzhaft wurden sie auch schon einmal als ,Insects from outer space‘ bezeichnet“, so Beutel.
In einem Kooperationsprojekt mit dem Zoologischen Forschungsmuseum Alexander Koenig in Bonn (Arbeitsgruppe Prof. Dr. B. Misof) haben Insektenforscher der Uni Jena das „Strepsiptera-Problem“ jetzt endgültig gelöst und die extrem artenreichen Käfer als die am nächsten verwandte Gruppe identifiziert. Gelungen ist die Einordnung der Strepsiptera anhand einer in Tunesien entdeckten bisher unbekannten Art, die jetzt Mengenilla moldrzyki heißt. Eine Premiere ist, dass zeitgleich mit der Erstbeschreibung der neuen Spezies im Fachjournal „ZooKeys“ (DOI: 10.3897/zookeys.198.2334) auch das gesamte Genom entschlüsselt wurde. Damit gehört Mengenilla moldrzyki schon jetzt zu den am genauesten erforschten und beschriebenen Insekten. Die phylogenomischen Ergebnisse wurden in der aktuellen Ausgabe des Magazins „Current Biology“ publiziert (DOI:10.1016/j.cub.2012.05.018).
Doch auch nach der Lösung des „Strepsiptera-Problems“ stellen die Fächerflügler die Forscher noch vor zahlreiche offene Fragen. „Ein weiteres Ziel unseres Projekts ist die detaillierte Dokumentation aller Lebensstadien der Strepsiptera“, erläutert PD Dr. Hans Pohl von der Uni Jena. Er und seine Kollegen untersuchen derzeit die Anatomie der Primärlarven dieser Insekten, die mit durchschnittlich 0,2 Millimetern Gesamtlänge zu den kleinsten bekannten vielzelligen Tieren gehören. Einzellige Amöben werden mit rund 0,6 Millimetern drei Mal so lang. Eine weitere Aufgabe der kommenden Jahre sehen die Insektenforscher in der Erfassung der noch bei weitem nicht ausreichend erforschten Artenvielfalt dieser seltsamen Insekten. „Über 30 bislang unbekannte Arten aus exotischen Regionen wie den Vereinigten Arabischen Emiraten oder Madagaskar warten im Phyletischen Museum der Universität Jena noch auf ihre taxonomische Bearbeitung und die formale Erstbeschreibung“, kündigt Prof. Beutel an.
Quelle: Friedrich-Schiller-Universität Jena