Seit Anfang Mai 1601 Fälle nach EHEC-Infektion und 630 HUS-Fälle
Wie das Robert-Koch-Institut heute zum EHEC/HUS-Ausbruchsgeschehen mitteilt, sind seit Anfang Mai 2011 vermehrt Personen an blutigem Durchfall und dem so genannten hämolytisch-urämischen Syndrom (HUS) erkrankt. Dem Robert Koch-Institut wurden seit Anfang Mai insgesamt 630 HUS-Fälle übermittelt, darunter 15 Todesfälle (Stand 5. Juni 2011, 15 Uhr). Seit Anfang Mai 2011 sind dem RKI ausserdem 1.601 Fälle mit einer Infektion mit EHEC übermittelt worden. Sechs übermittelte EHEC-Fälle sind verstorben Insgesamt 75% der EHEC-Fälle stammen aus den vier Bundesländern Schleswig-Holstein (n=451), Niedersachsen (n=348), Nordrhein-Westfalen (n=188) und Hamburg (n=226). Alle Bundesländer sind von dem EHEC-Ausbruch betroffen. Es sind alle Bundesländer von dem HUS-Ausbruch betroffen.
Insgesamt sind damit 2.231 Personen an HUS oder EHEC erkrankt. Der früheste Erkrankungsbeginn mit Durchfall war am 1. Mai, der späteste Erkrankungsbeginn mit Durchfall am 2. Juni. Vom 1. bis 8. Mai lag die Fallzahl zwischen 0 und 2 Fällen täglich. Am 9. Mai stieg die Fallzahl auf 7 Fälle an und erhöhte sich kontinuierlich weiter bis zu einem bisherigen Maximum von 54 Fällen am 21. Mai. Bei den EHEC-Fällen war der früheste Erkrankungsbeginn mit Durchfall am 1. Mai, der späteste am 3. Juni. Vom 1. bis 11. Mai lag die Fallzahl von EHEC-Infektionen zwischen 0 und 9 Fällen täglich. Danach stieg die Fallzahl kontinuierlich an, bis auf ein Maximum von 122 Fällen am 23. Mai.
Nach Aussage des Niedersächsischen Landwirtschaftsministeriums vom 5. Juni 2011 geben die Vertriebswege eines niedersächsischen Erzeugerbetriebs Hinweise darauf, dass der Verzehr von Sprossen aus einem bestimmten Erzeugerbetrieb möglicherweise mit den EHEC/HUS Erkrankungen in Zusammenhang steht Das RKI hat bei seinen Befragungen von Patienten von Beginn an nach dem Verzehr von Sprossen gefragt, aber bisher hatte nur ein kleiner Teil der Patienten Sprossenverzehr angegeben. Auf Grund der bereits veröffentlichten Evidenz, dass der Verzehr von Tomaten, Gurken und Blattsalat mit dem Ausbruch assoziiert ist, führt das RKI bereits seit Donnerstag eine dritte Fall-Kontroll-Studie durch in der speziell der Verzehr von Salat-Zutaten, wie zum Beispiel auch Sprossen, als möglicher Risikofaktor untersucht wird. Erkenntnisse aus dieser Studie werden veröffentlicht so bald die Ergebnisse vorliegen (eine Übersicht der epidemiologischen Studien des Robert Koch-Institut enthält die RKI-Stellungnahme vom 4.6.2011 und das Epidemiologische Bulletin 22/2011). Das Robert Koch-Institut steht dabei in ständigen Austausch mit dem Bundesinstitut für Risikobewertung, das für Verzehrsempfehlungen und warnungen zuständig ist.
Das Bundesinstitut für Risikobewertung empfiehlt weiterhin, vorsorglich Tomaten, Salatgurken und Blattsalate nicht roh zu verzehren. Diese Hinweise, die insbesondere auf in Norddeutschland erhältliche Ware abzielen, werden durch die Ergebnisse von zwei neuen epidemiologischen Studien des Robert Koch-Instituts bestätigt (siehe Pressemitteilung von RKI und BfR vom 3.6.2011, Link in der Rubrik Service > Presse).Eine mündliche Verzehrsempfehlung zu Sprossen hat das BfR am 6. Juni 2011 im ZDF-HeuteJournal geäussert.
Bei dem aktuellen Geschehen handelt es sich um einen der weltweit grßten bislang beschriebenen Ausbrüche von EHEC bzw. HUS und den bislang grßten Ausbruch in Deutschland, wobei insbesondere die Alters- und Geschlechterverteilung ungewöhnlich ist. Nach wie vor sind vor allem Erwachsene, überwiegend Frauen, betroffen. Zu anderen Zeiten entwickeln vorwiegend Kinder dieses schwere Krankheitsbild: Im Jahr 2010 zum Beispiel wurden dem Robert Koch-Institut 65 HUS-Fälle übermittelt, 6 Betroffene waren älter als 18 Jahre.
In Zusammenhang mit dem aktuellen Geschehen gibt das RKI folgende Empfehlungen:
-Die Verzehrsempfehlung des Bundesinstituts für Risikobewertung (www.bfr.bund.de) sollte beachtet werden. Wie bisher gilt, dass alle Personen mit Durchfall darauf achten sollten, dass strikte Hände-Hygiene eingehalten wird, insbesondere gegenüber Kleinkindern und immungeschwächten Personen. Die Empfehlungen zur guten Küchenhygiene, wie sie das Bundesinstitut für Risikobewertung in seinem Merkblatt zur Vermeidung von EHEC-Infektionen beschreibt (www.bfr.bund.de), behalten weiterhin ihre Gültigkeit.
-Personen mit blutigem Durchfall sollten umgehend einen Arzt aufsuchen.
-Ärzte sollten bei diesen Patienten einen EHEC-Nachweis (im Stuhl) anstreben. EHEC-Infektionen können klinisch unauffällig verlaufen oder einen wässrigen Durchfall verursachen. Ein kleinerer Teil der EHEC-Infektionen entwickelt sich als schwere Verlaufsform mit krampfartige Bauchschmerzen, blutigem Durchfall. Diese Patienten sollten die behandelnden Ärzte im Hinblick auf die mögliche Entwicklung eines HUS eng beobachten und bei ersten Anzeichen eines HUS an geeignete Behandlungszentren überweisen. Symptome von EHEC-assoziierten HUS-Erkrankungen beginnen innerhalb einer Woche nach Beginn des Durchfalls. Der Zeitraum zwischen der Infektion und den ersten Durchfallsymptomen beträgt durchschnittlich drei bis vier Tage.
-Diagnostizierende Laboratorien sollten bei Erregernachweis geeignete Proben an das Nationale Referenzzentrum für Salmonellen und andere Enteritiserreger am RKI (Standort Wernigerode) zu senden. Labore und Ärzte sind nach Infektionsschutzgesetz verpflichtet, sowohl mikrobiologisch nachgewiesene EHEC-Infektionen, als auch das Krankheitsbild des HUS (auch bereits bei Krankheitsverdacht) unverzüglich an das örtliche Gesundheitsamt zu melden.
Untersuchungen im Nationalen Referenzzentrum für Salmonellen und andere bakterielle Enteritiserreger am Robert Koch-Institut sowie an dem mit dem Robert Koch-Institut zusammenarbeitenden Konsiliarlaboratorium für Hämolytisch-Urämisches Syndrom (HUS) am Institut für Hygiene der Universität Münster (Prof. H. Karch) haben gezeigt, dass der gegenwärtig zirkulierende Stamm Eigenschaften zweier verschiedener Typen von pathogenen Escherichia coli trägt. Zudem liegen besondere Resistenzeigenschaften vor (siehe unten stehenden Link zur EHEC-Diagnostik) Eine solche Neukombination krankmachender Eigenschaften sowie die Aufnahme von Resistenzgenen ist bei Escherichia coli bekannt.
Seit 2. Juni 2011 liegen nun zusätzlich umfangreiche Informationen über das Bakterium aus der Genomsequenzierung des aktuellen Ausbruchsstamms vor. Diese bestätigen das Vorliegen dieser Eigenschaften, die für die Anheftung des Bakteriums an die Darmschleimhaut einerseits sowie für die Auslösung der schweren Komplikationen (HUS) andererseits verantwortlich gemacht werden. Das HUS-Konsiliarlabor in Münster schreibt in einer Pressemitteilung vom 2. Juni 2011: Unsere bisherigen Untersuchungen wurden damit untermauert: Es handelt sich bei dem Ausbruchsstamm um einen Hybrid-Klon, der Virulenzeigenschaften unterschiedlicher Erreger vereint. Meldungen, wonach es sich bei dem aktuellen Erreger um einen völlig neuen Typ handele, seien nicht zutreffend, betont Karch: HUSEC041 (O104:H4) ist der bestätigte Ausbruchsstamm. Wir haben die in Münster erhobenen Ergebnisse der H-Antigen kodierenden Gene (flicH4) und des Sequenztyps ST 678 bereits am 26. Mai 2011 gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen vom RKI und anderen Wissenschaftlern veröffentlicht (www.eurosurveillance.org). Mittlerweile haben wir unsere Ergebnisse an mehr als 60 HUS-Patientenisolaten bestätigt. Stämme, die zu HUSEC041 gehören sind nicht neu, sondern auch schon früher aufgetreten. Allerdings sind sie extrem selten und zwar weltweit
Das Nationale Referenzlabor in Wernigerode hat bei 247 Patientenproben den Ausbruchsstamm identifiziert (molekulare Bestätigung des Virulenzprofils, Serotypie, PFGE). Das Konsiliarlabor für HUS in Münster hat seine Ergebnisse an mehr als 60 Patientenisolaten betätigt. Das Institut für Hygiene Hamburg hat 207 Proben bzw. Stämme als Ausbruchsstamm typisiert.
Der Stamm zeigt eine erhöhte Resistenz gegen Cephalosporine der 3. Generation (ESBL), sowie eine breite Mehrfachresistenz u.a. gegen Trimethoprim/Sulfonamid und Tetrazykline. Dies ist allerdings klinisch nicht bedeutsam, da EHEC-Infektionen nicht mit Antibiotika behandelt werden sollten. Eine antibakterielle Therapie kann die Bakterienausscheidung verlängern und zur Stimulierung der Toxinbildung führen.
Das HUS ist eine schwere, unter Umständen tödliche Komplikation, die bei bakteriellen Darminfektionen mit sogenannten enterohämorrhagischen Escherichia coli (EHEC) auftreten kann. Pro Jahr werden dem RKI etwa 1000 EHEC-Fälle übermittelt. Das Vollbild des HUS ist charakterisiert durch akutes Nierenversagen, Blutarmut durch den Zerfall roter Blutkörperchen und einen Mangel an Blutplättchen. Im Jahr 2010 wurden dem Robert Koch-Institut zwei Todesfälle übermittelt.
Die das HUS verursachenden EHEC-Bakterien werden direkt oder indirekt vom Tier auf den Menschen übertragen. Als Reservoir gelten Wiederkäuer, vor allem Rinder, Schafe, Ziegen. Die Übertragung auf den Menschen erfolgt fäkal-oral, wobei die Erregeraufnahme über den Kontakt mit Tierkot, über kontaminierte Lebensmittel oder Wasser erfolgt, aber auch durch direkten Kontakt von Mensch zu Mensch (Schmierinfektion).
Es gibt bisher keine Hinweise darauf, dass rohes Fleisch oder Rohmilch, die in Zusammenhang mit EHEC häufig als Überträger-Lebensmittel identifiziert werden, die Ursache des aktuellen Ausbruchs darstellen.
Quelle: RKI