Gigantische Stürme, die ganze Galaxien leerfegen
Neue Entdeckung des Weltraumobservatoriums Herschel
Das Weltraumobservatorium Herschel hat erstmals riesige Sturmwolken aus molekularem Gas in den Zentren von Galaxien aufgespürt. Manche davon besitzen Windgeschwindigkeiten von mehr als 1000 Kilometern pro Sekunde – das Vieltausendfache von Wirbelstürmen auf der Erde. Die Aufnahme gelang mit dem Instrument PACS (Photodetector Array Camera and Spectrometer), das unter Leitung des Max-Planck-Instituts für Extraterrestrische Physik (MPE) entwickelt und vom Deutschen Zentrum für Luft-und Raumfahrt (DLR) gefördert wurde.
Weit entfernte Galaxien im Universum zeigen viel mehr Aktivität als unsere Milchstrasse heute. Erklärt wird dies in gängigen Entwicklungsmodellen dadurch, dass gasreiche Galaxien verschmelzen, was zu erhöhter Sternentstehung führt (so genannte „Starburst“-Galaxien) und das Schwarze Loch im Zentrum anwachsen lässt. Plötzlich hört diese erhöhte Aktivität aber auf. In nur wenigen Millionen Jahren sinkt die Sternentstehungsrate rapide und auch das Schwarze Loch wächst nicht mehr weiter. In dieser – für kosmische Verhältnisse – kurzen Zeitspanne müssen gewaltige Mengen Rohmaterial, etwa eine Milliarde Sonnenmassen, aus der Galaxie entfernt werden. Doch welche physikalischen Prozesse sind hierfür verantwortlich?
Die Lösung für dieses Rätsel könnte Herschel nun geliefert haben: Die Aufnahmen des PACS-Instruments zeigen, dass die Galaxien mit den aktivsten Kernen die stärksten Winde haben. Diese können den gesamten Gasnachschub einer Galaxie wegblasen und verhindern so eine weitere Entstehung von Sternen sowie das Anwachsen des Schwarzen Lochs in ihrem Zentrum. Dieses Ergebnis bestätigt die gängigen Theorien zur Galaxienentwicklung und ist der erste systematische Nachweis für die Bedeutung galaktischer Winde bei der Entwicklung elliptischer Galaxien. €ü €üDie Aufnahmen zeigen den Zwischenschritt in der Galaxienentwicklung von Scheibengalaxien mit vielen jungen Sternen und einem hohen Gasanteil hin zu elliptischen Galaxien mit alten Sternpopulationen und wenig Gas. Sie erklären aber auch eine weitere Beobachtung: Die Masse des Schwarzen Lochs im Zentrum einer Galaxie und die Masse der Sterne im inneren Bereich der Galaxie scheinen in einem Zusammenhang zu stehen. Eine solche Korrelation wäre eine natürliche Folge der jetzt gefundenen galaktischen Winde, da diese das gemeinsame Gasreservoir entfernen und somit sowohl die Sternentstehung als auch das Wachstum des Schwarzen Lochs unterbinden.
Wissenschaftler vermuten zwei verschiedene Arten von Galaxien
Die Beobachtungen reichen noch nicht aus, die treibende Kraft hinter diesen Winden definitiv zu bestimmen. Allerdings scheint es zwei Kategorien zu geben: Galaxien mit starker Sternentstehung („Starburst“-Galaxien) verlieren bis zu einigen hundert Sonnenmassen an Gas pro Jahr, einer Menge, die ungefähr auch ihrer Sternentstehungsrate entspricht. Mit Geschwindigkeiten von einigen hundert Kilometern pro Sekunde werden diese Winde wahrscheinlich vom Strahlungsdruck der Sterne und Sternexplosionen angetrieben.
Galaxien, die durch das Schwarze Loch in ihrem Zentrum dominiert werden, verlieren sehr viel mehr Material, bis zu tausend Sonnenmassen pro Jahr und mehr; ihre Winde mit Geschwindigkeiten von etwa tausend Kilometern pro Sekunde werden wahrscheinlich hauptsächlich durch den Strahlungsdruck des aktiven Galaxienkerns verursacht. Um diese ersten Ergebnisse zu bestätigen und andere Eigenschaften der Winde zu klären, werden die Herschel-PACS-Beobachtungen bei einer grßeren Anzahl Galaxien fortgesetzt.
Herschel: Ein Weltraumobservatorium auf der Suche nach Infrarot-Strahlung
Herschel, das Infrarot-Observatorium der Europäischen Weltraumorganisation ESA, startete am 14. Mai 2009 mit einer Ariane 5 ECA-Trägerrakete vom europäischen Weltraumbahnhof Kourou in Französisch-Guyana. Seither durchsucht es das Weltall nach Wärmestrahlung, die knapp über dem absoluten Nullpunkt (-273,15 Grad Celsius) liegt und liefert so neue Erkenntnisse über die Entwicklung von Galaxien. An Bord befinden sich drei Instrumente: HIFI (Heterodyne Instrument for the Far-Infrared), ein hochauflösendes Heterodyn-Spektrometer, SPIRE (Spectral and Photometric Imaging Receiver), ein abbildendes Photo- und Spektrometer für den Wellenlängenbereich von 200 bis 670 Mikrometern, und PACS (Photodetector Array Camera and Spectrometer), ein abbildendes Photometer und Spektrometer für den Bereich von 57 bis 210 Mikrometern.
PACS wurde unter Federführung des MPE entwickelt und vom DLR mit Mitteln des Bundesministeriums für Wirtschaft und Technologie (BMWi) gefördert. Zudem trägt Deutschland den grßten Anteil am Instrument Control Center (ICC), das den Betrieb der Instrumente während der Mission sicherstellt, und ist wesentlich am Bau des Instruments HIFI beteiligt.
Quelle: DLR