Rekord-Ozonloch über der Arktis wird in den kommenden Wochen erwartet
Ein Rekord-Ozonloch über der Arktis von bislang nie beobachteter Grße wird in den kommenden Wochen von Wissenschaftlern des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) erwartet. Mit Daten des im KIT entwickelten MIPAS-Gerätes auf dem europäischen Umwelt-Satelliten ENVISAT konnten die KIT-Wissenschaftler gemeinsam mit Kollegen aus Oxford den Beginn eines Phänomens beobachten, das in dieser Ausprägung bisher nur über dem Südpol auftrat.
Satellitenmessungen und Modelle zeigen in diesem Winter einen ungewöhnlich stabilen Luftwirbel über dem Nordpol, der für enorme Windstärken und sehr kalte Temperaturen sorgt. In diesem arktischen Wirbel finden spezielle chemische Prozesse statt, die zu einem sehr schnellen katalytischen Ozonabbau führen, sobald das erste Sonnenlicht auf die polare Atmosphäre fällt. Ein vergleichsweise grosser, stabiler und bis ins Frühjahr anhaltender Wirbel wurde bislang nur über der Antarktis beobachtet. Ein Zusammenhang mit dem vergleichsweise milden Winter und dem Klimawandel liegt nahe, erfordert aber weitere, genauere Untersuchungen.
Wissenschaftler des Instituts für Meteorologie und Klimaforschung (IMK) des KIT bereiten schon seit Anfang Februar stratosphärische Ballonmessungen auf der ESRANGE-Basis in Kiruna (Nordschweden) vor , erklärt Professor Dr. Johannes Orphal, Leiter des IMK, Bereich Atmosphärische Spurengase und Fernerkundung. Bislang konnten die Höhenballons wegen der in diesem Jahr extremen Winde noch nicht starten. Diese schwierigen Messungen werden aber in den nächsten Wochen viele spannende Details über die in diesem Jahr sehr ungewöhnliche Atmosphäre über dem Nordpol enthüllen. An der Messkampagne sind zahlreiche Wissenschaftler aus Deutschland, Frankreich, Russland und den Niederlanden sowie die französischen Agenturen CNES und CNRS beteiligt.
Das so genannte Ozonloch, eine starke Abnahme der Ozonschicht in der mittleren Atmosphäre der Stratosphäre in Höhen zwischen 10-50 km, ist ein atmosphärisches Phänomen, das Mitte der 1980er Jahre entdeckt wurde. In voller Ausprägung trat es bisher nur über der Antarktis auf, wo sich in den meisten Jahren ein sehr stabiler Polarwirbel, eine Kaltluftströmung, die um den Südpol kreist, ausbildet. Innerhalb dieses Wirbels herrschen sehr tiefe Temperaturen, die eine Voraussetzung für die Entstehung des Ozonlochs sind. Eine weitere Voraussetzung ist Chlor, das durch katalytische Prozesse für den Ozonabbau verantwortlich ist. Durch die von Menschen eingesetzten Fluorchlorkohlenwasserstoffe (FCKW €™s) ist der Chlorgehalt in der mittleren Atmosphäre in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts stark angestiegen und wurde erst durch das Montreal-Protokoll 1989 eingedämmt.
Bei den tiefen Temperaturen im Polarwirbel entstehen in der Stratosphäre polare stratosphärische Wolken (PSC €™s). An den Kristallen dieser Wolken wird Chlor aus so genannten Reservoirgasen, in denen es normalerweise chemisch inaktiv gespeichert ist, befreit und steht dann in reaktiver Form zur Verfügung. Sobald nach dem Polarwinter die Sonne aufgeht, setzt mit Hilfe von UV-Strahlung der katalytische Ozonabbau ein.
Über dem Nordpol bildet sich normalerweise kein stabiler Polarwirbel aus, da die ungleichmässige Landverteilung die Strömungen stört. Deshalb gibt es auch keine ausreichend tiefen Temperaturen für die Entstehung der PSC €™s und damit weniger reaktives Chlor.
In diesem Winter ist die Situation anders: Erstmals hat sich ein über einen langen Zeitraum stabiler Polarwirbel auch über dem Nordpol ausgebildet. Damit sind die Temperaturverhältnisse mit dem Südpol vergleichbar, es entstehen PSC €™s, damit reaktives Chlor. Die Wissenschaftler erwarten ein Ozonloch, das in seinen Ausmassen mit dem Ozonloch über dem Südpol vergleichbar sein könnte, zumal es derzeit noch keine Hinweise gibt, dass der Polarwirbel zusammenbricht.
Ob die starke Ausprägung des Polarwirbels in diesem Jahr ein zufälliges Ereignis ist oder mit dem Klimawandel zusammenhängt, ist derzeit noch offen. Hierfür sind umfangreiche Modellrechnungen notwendig.
Quelle: Karlsruher Institut für Technologie