Wie man gefährliche Vulkane besser erkennt
Je mehr Wasser im Magma gelöst ist, desto grösser die Gefahr, dass ein Vulkan explodiert. Eine neue ETH-Studie zeigt nun: Diese einfache Regel stimmt nur zum Teil. Denn ein hoher Wassergehalt senkt paradoxerweise das Explosionsrisiko markant.
Es gibt zwei Fragen, welche die Vulkanforscher seit langem umtreiben: Wann genau wird ein Vulkan das nächste Mal ausbrechen? Und wie wird er ausbrechen? Wird sich sich die Lava als zähflüssiger Strom den Berg hinunterwälzen, oder stösst der Vulkan explosionsartig eine kilometerhohe Aschewolke in die Atmosphäre?
Die erste Frage nach dem Wann lässt sich inzwischen relativ präzis beantworten, erklärt Olivier Bachmann, Professor für magmatische Petrologie an der ETH Zürich. Er verweist auf die Überwachungsdaten des Vulkans Cumbre Vieja auf der Kanareninsel La Palma, bei dem sich kürzlich ein Lavastrom bis hinunter ins Meer ergoss. Anhand der seismischen Daten konnten die Experten sozusagen in Echtzeit das Aufsteigen der Lava verfolgen und den Ausbruch auf wenige Tage genau voraussagen.
Unberechenbare Naturkräfte
Das Wie hingegen bereitet den Vulkanologen nach wie vor grosses Kopfzerbrechen. Bei Vulkanen auf Inseln wie La Palma oder Hawaii weiss man zwar, dass sie typischerweise keine gewaltigen Explosionen produzieren. Doch bei den grossen Vulkanen entlang der Subduktionszonen, wie man sie beispielsweise in den Anden, an der US-Westküste, in Japan, Indonesien oder auch in Italien und Griechenland findet, lässt sich diese Frage viel schwieriger beantworten. Denn all diese Vulkane können auf ganz unterschiedliche Weise ausbrechen, ohne dass man diese voraussagen könnte.
Um die Ausbruchsart eines Vulkans besser zu verstehen, haben sich viele Forschende in den letzten Jahren auf das Geschehen im Vulkanschlot konzentriert. Bereits seit längerem weiss man, dass die gelösten Gase im Magma, das dann als Lava an der Erdoberfläche austritt, ein wichtiger Faktor sind. Befinden sich im Magma viele gelöste Gase, bilden sich beim Aufstieg des Magmas im Vulkanschlot aufgrund des abnehmenden Druckes Gasblasen, ähnlich wie in einer Champagnerflasche, die man schüttelt. Diese Gasblasen führen dann, wenn sie nicht entweichen können, zum explosiven Ausbruch. Magma mit wenig gelösten Gasen fliesst demgegenüber ruhig aus dem Schlot und ist daher viel weniger gefährlich für die Umgebung.
Was geschieht im Vorfeld?
Bachmann und sein Postdoktorand Răzvan-Gabriel Popa haben nun in einer neuen Untersuchung, die sie kürzlich in der Fachzeitschrift «Nature Geoscience» veröffentlich haben, den Fokus auf die Magmakammer gelegt. In einer umfangreichen Literaturstudie haben sie Daten von 245 Vulkanausbrüchen ausgewertet und dabei rekonstruiert, wie heiss die Magmakammer vor dem Ausbruch war, wie viele feste Kristalle es in der Schmelze gab und wie hoch der gelöste Wassergehalt war. Gerade der letzte Faktor ist zentral, weil das gelöste Wasser später beim Aufstieg die berüchtigten Gasblasen bildet, die den Vulkan zur Champagnerflasche werden lassen.
Die Daten haben zunächst die bestehende Lehrmeinung bestätigt: Wenn ein Magma wenig Wasser enthält, ist das Risiko einer explosiven Eruption gering. Ebenfalls gering ist das Risiko, wenn das Magma bereits viele Kristalle enthält. Denn diese sorgen dafür, dass sich im Vulkanschlot Kanäle bilden, durch die das Gas leicht entweichen kann, erklärt Bachmann. Bei einem Magma mit wenig Kristallen und einem Wassergehalt von mehr als 3,5 Prozent hingegen ist das Risiko eines explosiven Ausbruchs sehr gross – so wie das die gängige Lehrmeinung auch voraussagt.
Überraschend war für Bachmann und Popa aber, dass sich das Bild bei einem hohen Wassergehalt wieder ändert: Befinden sich im Magma mehr als ca. 5,5 Prozent Wasser, sinkt das Risiko eines explosiven Ausbruchs markant, obwohl sich beim Aufstieg der Lava sicher viele Gasblasen bilden können. «Es gibt also einen klar definierten Risikobereich, auf den wir uns fokussieren müssen», erklärt Bachmann.
Gase als Puffer
Die beiden Vulkanforscher erklären sich den neuen Befund mit zwei Effekten. Beide hängen damit zusammen, dass sich bei einem hohen Wassergehalt nicht erst im Vulkanschlot, sondern bereits in der Magmakammer Gasblasen bilden. Zum einen verbinden sich die Gasblasen bereits in grosser Tiefe zu Ketten, so dass das Gas leichter entweichen kann. Das Gas verpufft dann sozusagen ohne explosiven Effekt in die Atmosphäre. Zum anderen verzögern die Gasblasen in der Magmakammer den Ausbruch des Vulkans und reduzieren so das Risiko einer Explosion.
«Bevor ein Vulkan ausbricht, steigt heisses Magma aus grosser Tiefe nach oben und dringt in die Magmakammer ein, die sich 6 bis 8 Kilometer unter dem Vulkan befindet, und erhöht so den Druck in dieser Zone», erklärt Popa. «Sobald der Druck in der Magmakammer gross genug ist, um den Druck der überlagernden Gesteine aufzubrechen, kommt es zum Ausbruch.»
Enthält die Schmelze in der Magmakammer Gasblasen, wirken diese als Puffer: Sie werden durch das von unten aufsteigende Material zusammengedrückt, so dass sich der Druckaufbau in der Magmakammer verlangsamt. Dank der Verzögerung hat das Magma mehr Zeit, Wärme von unten aufzunehmen. Die Lava ist daher beim Ausbruch heisser und damit auch dünnflüssiger. Dadurch kann das Gas im Vulkanschlot leichter ohne explosive Nebenwirkungen aus dem Magma entweichen.
Coronakrise für aufwändige Recherche genutzt
Mit den neuen Erkenntnissen lässt sich also theoretisch besser eingrenzen, wann mit einer gefährlichen Explosion gerechnet werden muss. Die Frage ist nur: Wie kann man im Voraus bestimmen, wie viele Gasblasen es in der Magmakammer gibt und wie stark das Magma bereits kristallisiert ist? «Wir diskutieren im Moment mit Geophysikern, mit welchen Methoden man die entscheidenden Parameter erfassen könnte», erklärt Bachmann. «Die Lösung besteht wohl darin, dass man verschiedene Messgrössen – zum Beispiel seismische, gravimetrische, geoelektrische und magnetische Daten – miteinander kombiniert.»
Ganz zum Schluss erwähnt Bachmann noch einen Nebenaspekt der neuen Studie: «Ohne die Corona-Krise hätten wir dieses Paper wohl nicht geschrieben», meint er schmunzelnd. «Als wir im ersten Lockdown plötzlich nicht mehr ins Feld und ins Labor gehen konnten, mussten wir unsere Forschung kurzfristig neu ausrichten. Wir haben die freie Zeit dann genutzt, um eine Idee, die wir aufgrund von eigenen Messdaten bereits hatten, durch Literaturdaten zu überprüfen. Diese aufwändige Recherche hätten wir im Normalbetrieb wohl nicht gemacht.»
Quelle: Eidgenössische Technische Hochschule Zürich (ETH Zürich)