Was beim Fracking in Westkanada im Untergrund passiert
Ein Forschungsteam der Ruhr-Universität Bochum (RUB) und der McGill University in Montreal untersucht, was im Untergrund passiert, wenn die Erde in Westkanada ausgelöst durch Fracking-Aktivitäten bebt. Das Team um die Bochumer Professorin Rebecca Harrington möchte grundsätzlich verstehen, wie Erdbeben – ob menschgemacht oder natürlich – entstehen. „Der Fracking-Prozess ist für uns so etwas wie ein hochskalierter Laborversuch“, erklärt Harrington, die die Gruppe Hydrogeomechanik an der RUB leitet. „Wir sehen, was passiert, wenn der Untergrund kontrollierten Stressbedingungen ausgesetzt wird – unter natürlichen Bedingungen wäre das viel schwieriger zu untersuchen.“
Das Wissenschaftsmagazin Rubin der RUB berichtet über die bisherigen Erkenntnisse.
Für ihre Arbeit werten die Forscherinnen und Forscher Aufzeichnungen von natürlichen und von menschgemachten Erdbeben aus. Eine der vielen Datenquellen sind die Erdbeben, die in einem 50 mal 50 Kilometer großen Areal im Western Canada Sedimentary Basin durch Fracking ausgelöst werden. Mit dem Verfahren lassen sich Öl- oder Gasvorkommen erschließen, die tief im Untergrund liegen. Eine Mischung aus Wasser, Sand und schwach konzentrierter Salzsäure wird mit hohem Druck in den Untergrund gepresst, um Risse im Gestein zu erzeugen und dieses durchlässig für das Gas oder Öl zu machen. Immer wieder entstehen dadurch Erdbeben.
Flüssigkeiten bewegen sich anders als erwartet
2018 trat ein Beben der Stärke 4,5 auf, und zwar sehr früh im Fracking-Prozess, als noch kaum Flüssigkeit injiziert worden war. „Das zeigt, dass die Flüssigkeiten sich im Untergrund auf eine Art und Weise bewegen, wie wir sie nicht erwarten würden“, sagt Harrington. Dieses Beben und einige Nachbeben, von denen die größten immer noch Stärken von 4,2 und 3,4 erreichten, analysierte das RUB-Team zusammen mit den Kollegen der McGill University. Die beiden Institutionen haben im Western Canada Sedimentary Basin mittlerweile 17 seismische Stationen aufgebaut und können so auf ein dichtes Datennetz zugreifen.
Anhand dieser Aufzeichnungen rekonstruierten die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler die Quellen der verschiedenen Beben und wie sich diese im Untergrund ausgebreitet hatten. Die Daten brachten sie mit Informationen über die Beschaffenheit des Untergrundes und über die Interaktionen der Flüssigkeit mit dem Gestein zusammen. Mit Computersimulationen modellierten sie die Kräfte, die während der Beben im Untergrund gewirkt hatten. Das Fazit: „Vermutlich gab es eine geologisch betrachtet junge Verwerfung im Untergrund, also einen Bruch in der Erdkruste, der viele natürliche Risse im Gestein erzeugt hatte. Durch diese konnte die Fracking-Flüssigkeit strömen wie durch einen Kanal“, beschreibt Rebecca Harrington. Der Flüssigkeitsstrom erreichte so schnell die darunterliegende Verwerfung, was das Spannungsgefüge im Untergrund störte und ein Erdbeben triggerte, das stärker als erwartet war.
Analyse von 8.200 Erdbeben läuft
Das deutsch-kanadische Team hat begonnen, rund 8.200 Erdbeben zu analysieren, die die seismischen Stationen in Westkanada zwischen Juli 2017 und September 2020 aufgezeichnet haben. Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler zeigten, dass viele Erdbeben an Stellen auftreten, an denen natürliche geologische Verwerfungen im Untergrund existieren, mit denen die Flüssigkeiten interagieren. Sie wiesen außerdem nach, dass diese Verwerfungen optimal im Spannungsfeld der Erdkruste orientiert sind, um Erdbeben auszulösen.
„Die Erdbeben entstehen zwar durch industrielle Aktivitäten, aber wenn sie einmal initiiert sind, verhalten sich die geologischen Verwerfungen ziemlich genau so wie bei einem Erdbeben natürlichen Ursprungs“, resümiert Rebecca Harrington. „Insgesamt zeigen unsere Studien, dass es keine grundsätzlichen Unterschiede zwischen natürlichen Erdbeben und durch Fracking ausgelösten Erdbeben gibt. Alles, was wir über die induzierten Erdbeben lernen, kann uns also auch helfen, natürliche Erdbeben zu verstehen – und hoffentlich eines Tages dazu beitragen, dass wir Folgen für Menschen und Infrastruktur durch Erdbeben minimieren können.“
Quelle: Ruhr-Universität Bochum