Unter den Eisschilden der Erde sprudelt eine wichtige Nährstoffquelle
Spurenelemente wie Eisen oder Zink spielen als Mikronährstoffe eine essenzielle Rolle für alle Organismen. Unter Eisschilden, die rund zehn Prozent der irdischen Landfläche bedecken, werden größere Mengen dieser Stoffe mobilisiert als bisher angenommen. Das zeigen neue Daten aus Grönland und der Antarktis, die ein Forschungsteam um Jon Hawkings vom Deutschen GeoForschungsZentrum und der FSU (USA) erhoben und analysiert hat. Sie geben wichtige Einblicke in bislang unbekannte Prozesse an der Grenze von Eis, Schmelzwasser und Gestein und neue Ausblicke auf die Folgen des Klimawandels für kritische biogeochemische Prozesse, auch in den umgebenden Ökosystemen. Die Studie ist bei PNAS erschienen.
Unter den Eisschilden der Erde bildet Schmelzwasser ein ausgedehntes verborgenes System von Rinnsalen, Flüssen und Seen. Mehr als 400 subglaziale Seen wurden in den letzten vierzig Jahren in der Antarktis entdeckt, manche von den Ausmaßen der Großen Seen Nordamerikas. An der Grenze zwischen Eis, Wasser und Gestein wirkt ein komplexes Ensemble aus chemischen, physikalischen und mikrobiologischen Kräften, die Gestein zerbrechen und zermahlen. Dabei setzen sie auch Spurenelemente frei, die das Schmelzwasser stromabwärts transportiert. Diese chemischen Elemente kommen, daher der Name, nur in sehr geringen Konzentrationen vor. Dennoch sind sie – wie Vitamine – essenziell als Nährstoffe für alle Lebewesen.
Wie und in welchen Mengen sie unter dem grönländischen und antarktischen Eis freigesetzt werden und schließlich in die angrenzenden Ökosysteme abfließen, und welche Rolle sie dort und für den globalen Kohlenstoffkreislauf spielen, ist bislang noch wenig untersucht. Denn Messkampagnen in diesen entlegenen Regionen der Erde sind logistisch wie technisch eine enorme Herausforderung.
Aufwändige Probennahme
Um aus den Gewässern unter den grönländischen und antarktischen Eispanzern Proben zu sammeln und sie im Labor zu analysieren, hat Jon Hawkings vom GFZ** und der Florida State University mit einem internationalen und interdisziplinären Forschungsteam zusammengearbeitet. Mark Skidmore und John Priscu von der Montana State University (USA) haben im Rahmen ihres SALSA-Projektes mehr als 1000 Meter tief in den antarktischen Eispanzer gebohrt. So konnten sie den neun Kilometer langen und 15 Meter tiefen „Mercer Subglacial Lake“ anzapfen. „Diese Seen sind Teil eines größeren hydrologischen Systems. Es gibt ein wissenschaftliches Interesse an diesem speziellen See, aber wir wollen auch sehen, was unter der Eisdecke entsteht und wie sich das mit den Küstenregionen verbindet“, sagt Mark Skidmore.
Jon Hawkings selbst hat mit Kolleg*innen um Jemma Wadham von der University of Bristol (UK) über einen Zeitraum von drei Sommer-Monaten Proben aus Untereis-Gewässern genommen, die unter dem Leverett Gletscher in Grönland entspringen.
Analysiert wurden die Proben in ultra-reinen Laboren. Die Forschenden haben die Schmelzwasser-Proben in mehreren Stufen gefiltert, um die Konzentrationen nach Partikelgrößen zu sortieren; viele der Spurenelemente haben die Form weniger Nanometer kleiner Minerale. Ihre chemische Zusammensetzung bestimmten sie mit besonders sensiblen massenspektrometrischen Verfahren.
Überraschend hohe Konzentration an Eisen & Co.
Auf diese Weise haben Hawkings und seine Kolleg*innen herausgefunden, dass in den Schmelzwässern unterhalb der Eismassen bedeutende Mengen an Spurenelementen freigesetzt werden. Ihre Konzentrationen übertreffen die in Flüssen und dem offenen Ozean um ein Vielfaches. Beispielsweise beträgt der Wert für gelöstes Eisen in dem Antarktischen See 1000 Mikrogramm pro Liter und nicht fünf, wie man es bei verdünnter Eisschmelze erwarten würde.
„Lange Zeit hat man angenommen, dass Spurenelemente in den vereisten Regionen der Erde in so geringen Mengen vorkommen, dass sie für globale Kreisläufe kaum von Bedeutung sind. Unsere Ergebnisse zeigen jedoch, dass Eisschilde für die regionale Mobilisierung der Spurenelemente eine Schlüsselrolle spielen könnten, die im Zuge des Klimawandels weiter beobachtet und analysiert werden muss. Dafür haben wir jetzt die Grundlagen gelegt“, sagt Jon Hawkings.
Einblicke in Verwitterungsprozesse unter dem Eis
Die Konzentrationen der einzelnen Elemente ebenso wie ihr Verhältnis und das Verhältnis zwischen gelösten und nanopartikulären Mineralien verraten den Forschenden auch etwas über die Ausgangsmaterialien, die Verwitterungsprozesse unter dem Eis und die Ursprünge des Wassers. So weiß man beispielsweise, dass das Element Vanadium hauptsächlich in Silikatgestein vorkommt und nicht in Carbonatgestein. Die gefundenen hohen Vanadium-Konzentrationen deuten also darauf hin, dass das Silikatgestein unter dem Eis in stärkerem Maße verwittert als zuvor angenommen. Ein wichtiger Aspekt dabei: Es benötigt hierfür CO2, dieser Prozess ist also eine Senke für das Klimagas. Von Eisen ist wiederum bekannt, dass es in sauerstoffreicher Umgebung zu Rost oxidiert, der ausfällt. Große Mengen gelöstes Eisen deuten also darauf hin, dass ein Teil des Wassers aus einer Region mit wenig Sauerstoff kommen könnte. In der Antarktis haben die Forschenden zudem höhere Konzentrationen etwa von Aluminium, Eisen und Titan gefunden als in Grönland. Deshalb nehmen sie an, dass das Schmelzwasser im Südpolargebiet länger und in größerer hydrologischer Isolation unter dem Eis verweilt.
Einfluss auf Ideen zur Eisendüngung
Besondere Relevanz haben die neuen Erkenntnisse für das Verständnis der Nährstoffkreisläufe im Südpolarmeer. Es gilt eigentlich als nährstoffreich – hinsichtlich Stickstoff und Phosphor –, ist jedoch in weiten Teilen arm an Eisen. Deshalb gedeiht Phytoplankton, als „Gras“ des Ozeans ein Basiselement der globalen Nahrungspyramide und eine wichtige CO2-Senke, dort nur spärlich. Diese Eisenlimitierung war Gegenstand früherer Geo-Engineering-Projekte: Dort wurde untersucht, inwiefern eine Düngung des Ozeans mit Eisen das Algenwachstum ankurbelt, um so mehr Kohlendioxid aus der Atmosphäre zu binden. Die Ergebnisse von Hawkings und seinen Kolleg*innen passen zu Beobachtungen höherer Mengen an Eisen und Phytoplankton in unmittelbarer Nähe des Antarktischen Eisschilds. Das deutet darauf hin, dass die Eisdecke die Küstenregionen des Südlichen Ozeans auf natürliche Weise düngt, indem sie das Phytoplankton mit Eisen versorgt. In welchem Ausmaß und wie sich das möglicherweise im Zuge der Klimaerwärmung ändert, muss künftig untersucht werden.
Den Grenzen des Lebens auf der Spur
17 verschiedene Elemente haben Hawkings und seine Kolleg*innen untersucht. „Jedes erzählt uns eine eigene Geschichte und wir arbeiten wie Detektive, die versuchen, aus all den Daten ein stimmige Gesamterzählung zu machen“, sagt der Geowissenschaftler. „Wir interessieren uns dafür, die Grenzen des Lebens auf der Erde auszuloten, hinsichtlich der Verfügbarkeit von Energie und Nährstoffen. Und die aktuellen Ergebnisse helfen uns dabei. Welche wichtige Bedeutung die großen Eismassen der Erde dafür haben, beginnen wir erst zu verstehen. Wir hoffen, dass unsere Forschung dabei hilft, künftig viele wichtige offene Fragen zu beantworten, die auch den Einfluss des Klimawandels betreffen: Wie werden sich diese biogeochemischen Kreisläufe verändern, wenn mehr Eis schmilzt? Setzt das immer mehr Spurenelemente frei oder werden diese Prozesse eher gebremst? Außerdem ist noch offen, was auf dem Weg in die Ozeane mit den Stoffen passiert und wieviel letztlich bei den Organismen im Meer ankommt.“
Quelle: Helmholtz-Zentrum Potsdam – Deutsches GeoForschungsZentrum GFZ