Krisenmanagement in Zeiten von COVID-19: Vor die Welle kommen
Deutschland ist im Krisenmodus. Nach einer ersten Beobachtung haben es insbesondere Unternehmen bisher gut verstanden, auf die drängendsten Herausforderungen zu reagieren. Dies bezieht sich insbesondere auf die Unternehmen, die aufgrund regulatorischer Vorgaben zu vorbereitenden Business Continuity Plänen verpflichtet waren und die Möglichkeiten der Digitalisierung nutzen konnten. Aber damit ist die Arbeit längst nicht getan – ein Kommentar von Prof. Dr. André Röhl, Studiengangleiter Sicherheitsmanagement (B.A.) und Prof. Dr. Daniel Zerbin, Professur Kriminalwissenschaften.
Entscheidungen zu Teamsplitting und Home Office-Konzepten sind wichtige erste Schritte – jedoch ist das Krisenmanagement damit längst nicht abgeschlossen. Nachdem Risiken für Mitarbeiter und Kunden minimiert wurden, geht es nun darum, in den kommenden Wochen die Risiken für den Business Case zu bewältigen. Ein Ziel des Krisenmanagements muss es dabei sein „vor die Welle“ zu kommen, also Herausforderungen im Vorhinein zu antizipieren und Maßnahmen proaktiv zu planen, anstatt nachträglich zu reagieren. Erreicht werden kann dies nur durch einen systematischen Entscheidungsprozess in den maßgeblichen Phasen des Krisenmanagements: Entscheidungsfindung, Umsetzung der Entscheidungen und Kommunikation der Entscheidungen.
Häufig wird dabei insbesondere die Phase der Entscheidungsfindung unterschätzt und es werden aus dem Bauch heraus Entscheidungen getroffen, die anschließend von einem Krisenteam abgenickt werden. Damit geht aber das Potential einer Krisenorganisation verloren. Nicht nur, dass zusätzlicher Input keine Berücksichtigung findet, Gruppenphänomene, die unter dem Begriff Groupthink zusammengefasst werden können, können zu dem auch dazu führen, dass erkannte Fehler nicht angesprochen und sogar verstärkt werden.
Zu Beginn der Entscheidungsfindung sollte die Frage stehen, was für das Bestehen des Unternehmens besonders wichtig ist – und auf welche Bereiche oder Prozesse ggf. für einen bestimmten Zeitraum ohne Aufwand verzichtet werden kann. Auf diese Weise können notwendige Ressourcen auf das Wesentliche fokussiert werden; rechtliche Rahmenbedingungen sind dabei ebenfalls zu berücksichtigen.
In einem nächsten Schritt sollte die sich verändernde Risikolandschaft analysiert werden. Häufig auftretende Fehler sind dabei das Vertrauen auf die Aktualität von Informationen und die Annahme linearer Entwicklungen. Um bei der Metapher der Welle zu bleiben: Ein Segler, der an einem Leuchtturm vorbeisegelt, ist in dem Moment, in dem diese Position in die Seekarte eingetragen wird, eben schon einige Meter weiter und wird vielleicht von einer veränderten Strömung getragen. Erforderlich sind daher stetiges Vorausplanen und Überprüfen der Planungen anhand geeigneter Schwellenwerte.
Erst nach Durchführung dieser Schritte kann es um das Identifizieren und Beurteilen von Handlungsoptionen gehen. Diese sollten sich auf die formulierten Ziele bzw. Risiken beziehen und nach Geeignetheit und Aufwand bewertet werden. Intention ist es, Handlungsoptionen mit Risiken abzuwägen um einen bestmöglichen Entschluss zu fassen.
Hat eine Entscheidung diesen Prozess schließlich durchlaufen, kann sie auch guten Gewissens entschlossen umgesetzt werden. Die häufig beobachtbare Rückversicherung auf rechtliche Vorgaben verkennt, dass diese nur ein Grundgerüst bilden und keinesfalls die spezifischen Anforderungen einer Organisation oder der aktuellen Situation abbilden können. Mehr geht also immer! Ebenso ist ein „Primat der Fachexperten“ abzulehnen. Diese geben einen wichtigen Input. Die Verantwortung für die Formulierung und Umsetzung einer Entscheidung obliegt ihnen jedoch nicht, sondern ist eine originäre Führungsaufgabe.
Zu diesen Führungsaufgaben gehört es schließlich auch, eine Entscheidung in geeigneter Weise auf Grundlage eines sachlich festgestellten und ehrlichen Lagebildes zu kommunizieren. In geeigneter Weise bedeutet dabei, dass denjenigen, denen Aufgaben übertragen werden, eindeutig die Beweggründe der Entscheidung sowie deren Ziele vermittelt werden. Es muss dem Gegenüber vermittelt werden, dass alles Mögliche getan wird, damit die Lage sich verbessert.
Nur so können sie im Rahmen ihrer Entscheidungsbefugnisse zu einem kohärenten Organisationshandeln beitragen. Mikromanagement und Krisen vertragen sich dagegen eher schlecht. Geeignete Kommunikation bedeutet aber auch, die Kommunikation mit den Stakeholdern nicht mit einer noch so gut gemeinten „hidden agenda“ zu versehen. In Zeiten vielfältiger Informationsmöglichkeiten ist dies wenig erfolgsversprechend- auch das haben die letzten Tage gezeigt.
Prof. Dr. André Röhl und Prof. Dr. Daniel Zerbin lehren und forschen zum Thema Krisenmanagement im Studiengang Sicherheitsmanagement an der NBS Northern Business School – University of Applied Sciences in Hamburg.
Quelle: Northern Business School