Neue Studie rekonstruiert schnelle Küsten- Absenkungen im Ganges- Delta
Versunkene Salzsiedereien als Zeugen einer Umweltkatastrophe: Darüber berichten Wissenschaftler aus Deutschland und Bangladesch in der September-Ausgabe der Zeitschrift Geology. Im dicht besiedelten Mündungsgebiet von Ganges und Brahmaputra untersuchte das Forscherteam die Überreste von Salzsiedeöfen, die vor rund 300 Jahren plötzlich aufgegeben werden mussten und heute mehr als 1,50 Meter unter dem Meeresspiegel liegen. Viele Anzeichen sprechen dafür, dass der Küstenstrich damals infolge von Erdbeben plötzlich absank und zusätzlich mehrfach durch katastrophale Monsunstürme zerstört wurde.
Das Delta von Ganges und Brahmaputra ist das größte Mündungsgebiet der Erde. Es bedeckt eine Fläche, die etwa doppelt so groß wie das Bundesland Bayern, jedoch sehr viel dichter besiedelt ist. Von den rund 143 Millionen Menschen, die in diesem Delta leben, siedeln alleine fünf Millionen unmittelbar im Küstenstreifen – buchstäblich am Rand der bewohnbaren Welt: Denn mehr als 200 Flüsse transportieren jährlich geschätzt eine Milliarde Tonnen Sediment aus dem bis zum Himalaja reichenden Hinterland an die Küste und ins Meer. Diese Auflast lässt die Erdkruste absinken. Vertikale Bewegungen der Erdplatten verstärken diesen Prozess. Daher liegen weite Bereiche des Deltas auf Meeresspiegelniveau oder darunter. Zudem ziehen immer wieder Wirbelstürme durch die Region – so wie im Herbst 2007 der Zyklon Sidr, der weite Küstenstriche verheerte und Zehntausenden Menschen das Leben kostete. Schließlich ist dieses flache Siedlungsland vom global ansteigenden Meeresspiegel bedroht. Vor diesem Hintergrund sind verlässliche Informationen darüber, wie stark das Delta durch die Sedimentlast absinkt bzw. wie stark der Meeresspiegel zukünftig ansteigen wird, besonders wichtig. Bislang fehlte es aber an entsprechenden Bezugshöhen, um die Prozesse über längere Zeiträume zu erfassen. Die Geology-Studie leistet einen Beitrag, um diese Lücke zu schließen.
Unter der Leitung von MARUM-Wissenschaftler Dr. Till Hanebuth untersuchte das Forscherteam 20 aufgegebene Siedeöfen, in denen bis vor gut 300 Jahren Salz aus Meerwasser gewonnen wurde. Damals lagen die Öfen gerade oberhalb der Hochwasserlinie, heute jedoch bis zu 1,55 Meter unter dem Meeresspiegel. Markante Holzkohleschichten deuten darauf hin, dass die Salzsiederei schlagartig aufgegeben wurde. Mit Hilfe einer relativ neuen Methode, der sog. optisch stimulierten Lumineszenz, konnten die Wissenschaftler feststellen, dass die Öfen um das Jahr 1705 erloschen. Zusätzliche Informationen über das Absinken des Küstenstichs gewannen Hanebuth und seine Kollegen von den Universitäten Köln bzw. Rajshahi/Bangladesch mit Hilfe der für das Ganges-Delta typischen Mangroven: „In unserem Untersuchungsgebiet stießen wir auf zwei hervorragend erhaltene Wurzelhorizonte ehemaliger Mangrovewälder, die heute 2,30 bzw. 1,35 Meter unter dem Meeresspiegel liegen“, sagt Till Hanebuth. „Das Holz dieser Mangroven haben wir mit der Radiokarbon-Methode datiert und gefunden, dass die Wälder des unteren Horizonts Mitte des 17. Jahrhundert wuchsen.“
Auf der Grundlage ihrer Daten berechneten die Wissenschaftler, wie stark das Land in den vergangenen Jahrhunderten abgesunken ist. Mit Blick auf die Salzsiedereien ergeben sich 1,55 Meter in gut 300 Jahren, also rund 5 Millimeter pro Jahr. Legt man den tiefsten Mangrovenhorizont zugrunde, der vor 360 Jahren entstand und inzwischen 2,30 Meter unter dem Meeresspiegel liegt, ergibt sich eine jährliche Rate von etwas mehr als 6 Millimeter. In diesen Werten ist allerdings noch der Meeresspiegelanstieg der vergangenen drei Jahrhunderte enthalten. Er muss mit durchschnittlich knapp einem Millimeter angesetzt werden.
„Auf der Basis unserer Untersuchungen zum Absinken der Küste Bangladeschs bzw. unseres Wissens um den Anstieg des zukünftigen Meeresspiegels müssen wir davon ausgehen, dass die Pegel zukünftig pro Jahrzehnt um satte sechs bis neun Zentimeter ansteigen werden“, bilanziert Till Hanebuth. Für die vielen im Ganges-Delta lebenden Menschen bedeutet das nichts Gutes: Bauern werden zunehmend mit Salzwassereinbrüchen auf ihren Feldern zu kämpfen haben, das Land wird nach Monsun-bedingten Überschwemmungen schwerer zu entwässern sein, und auch die Zyklone werden in den schon jetzt teilweise unter Meeresniveau liegenden Küstenstrichen leichteres Spiel haben. Für die Wissenschaftler bietet sich als einzige denkbare Lösung an, den Monsunfluten freieren Lauf zu lassen, damit sie ihre Sedimentfracht im Delta abladen können. Nur so werden natürliche Auflandungen und damit ein Gegengewicht zu den Absenkprozessen bzw. zum Meeresspiegelanstieg geschaffen.
Quelle: MARUM – Zentrum für Marine Umweltwissenschaften an der Universität Bremen