Erdbeben- Lücke vor den Toren von Istanbul in der Türkei
Erdbeben- Forscher haben jetzt einen 30 Kilometer langen und zehn Kilometer tief reichenden Bereich entlang der Nordanatolischen Verwerfungszone knapp südlich von Istanbul identifiziert, der Ausgangspunkt für ein starkes Erdbeben sein könnte. Die Seismologengruppe um Professor Marco Bohnhoff vom Deutschen GeoForschungsZentrum GFZ berichtet in der aktuellen OnlineAusgabe des Wissenschaftsmagazins Nature (Nature Communications, DOI: 10.1038/ncomms2999), dass dieser potentielle Erdbebenherd in nur 15 bis 20 Kilometern Entfernung zur historischen Altstadt Istanbuls liegt.
Die Istanbul-Marmara-Region im Nordwesten der Türkei mit mehr als 15 Millionen Einwohnern sieht sich einer hohen Wahrscheinlichkeit für ein Erdbeben der Magnitude 7 oder stärker ausgesetzt. Um die vor einem Starkbeben ablaufenden Prozesse an einer kritisch geladenen Verwerfungszone besser zu verstehen, wurde unter der Federführung des Potsdamer Helmholtz-Zentrums GFZ gemeinsam mit dem Kandilli-Erdbebenobservatorium aus Istanbul ein seismisches Messnetz auf den Prinzen-Inseln im Marmarameer vor Istanbul errichtet. Die Prinzen-Inseln bieten die einzige Möglichkeit, die unterhalb des Meeresbodens verlaufende Erdbebenzone aus wenigen Kilometern Entfernung zu überwachen.
„Der von uns identifizierte, zehn Kilometer tief reichende Block entlang der Verwerfungszone weist seit Messbeginn vor über vier Jahren keine seismische Aktivität auf. Dies könnte ein Hinweis darauf sein, dass das erwartete Marmara-Erdbeben dort seinen Ursprung nehmen könnte“, sagt Bohnhoff.
Dafür spricht auch, dass genau in diesem Bereich die Bruchzone des letzten starken Erdbebens der Region im Jahre 1999 endete – vermutlich an derselben Struktur, die die fortschreitende Verschiebung der Anatolischen Platte im Süden gegen die Eurasische Platte im Norden nun schon seit 1766 aufhält und dabei Spannung aufbaut. Die Resultate werden auch mit Erkenntnissen von anderen Verwerfungszonen wie z.B. der San Andreas-Verwerfung in Kalifornien verglichen, um die physikalischen Prozesse vor einem Erdbeben besser zu verstehen.
Gegenwärtig intensiviert das GFZ seine Aktivität zur Überwachung der Erdbebenzone vor Istanbul weiter. Gemeinsam mit dem Türkischen Katastrophenschutz AFAD werden derzeit rund um das östliche Marmarameer mehrere 300 Meter tiefe Bohrungen abgeteuft, in die dann hochempfindliche Bohrlochseismometer eingesetzt werden. Mit diesem Geophysical borehole Observatory at the North Anatolian Fault GONAF lässt sich die Messgenauigkeit und die Detektionsschwelle für Kleinstbeben nochmals um ein Vielfaches verbessern. Außerdem liefern die neuen Messdaten auch Erkenntnisse über die zu erwartende Bodenbewegung im Falle eines Erdbebens in der Region. Bohnhoff: „Erdbebenvorhersage ist wissenschaftlich nicht möglich. Aber Studien wie die vorliegende liefern die einzige Möglichkeit, Erdbeben im Vorfeld bestmöglich in Bezug auf Ort, Magnitude und Bruchverlauf zu charakterisieren und so das Schadensrisiko besser abzuschätzen.“
Quelle: Helmholtz-Zentrum Potsdam – Deutsches GeoForschungsZentrum GFZ