Lernvorgänge des Gehirns mithilfe lernender elektronischer Schaltkreise nachgebildet
Ein Pfiff mit der Hundepfeife und schon läuft dem Vierbeiner das Wasser im Munde zusammen. Reaktionen wie diese hat der Nobelpreisträger und Verhaltenspsychologe Ivan Pavlov zu Beginn des 20. Jahrhunderts erforscht. Seither gilt sein Experiment, der Pavlov €™sche Hund , als Meilenstein bei der Erforschung von reflexartigen oder impliziten Lernvorgängen.
In der Verhaltenspsychologie gilt der Pavlov €™sche Hund als ein Meilensteinexperiment zum Verständnis reflexartiger, beziehungsweise impliziter Lernvorgänge in biologischen Systemen. Ivan Pavlov konnte zu Beginn des 20. Jahrhunderts zeigen, dass Hunde auf zwei zunächst unabhängige Reize, die Darbietung von Futter und der Ton einer Glocke, beide Reize miteinander assoziieren, sobald diese mehrmals praktisch zeitgleich präsentiert wurden. Als Resultat beobachtete Ivan Pavlov einen erhöhten Speichelfluss des Hundes, wenn dieser nach dem Lernvorgang allein die Glocke hörte. Allgemein wird diese Methode als klassische Konditionierung bezeichnet und kann auf unterschiedlichste Reizkombinationen übertragen werden.
Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Technischen Fakultät ist es jetzt gemeinsam mit Gedächtnisforschern an der Christian-Albrechts Universität zu Kiel (CAU) sowie dem Forschungszentrum Jülich gelungen, mithilfe spezieller Bauelemente das Verhalten des Pavlov`schen Hundes elektronisch nachzubilden. Die Arbeit An Electronic Version of Pavlov €™s Dog ist in der aktuellen Ausgabe der Fachzeitschrift Advanced Functional Materials (huwp 2012) veröffentlicht.
Die digitale und biologische Informationsverarbeitung basiert auf fundamental unterschiedlichen Arbeitsweisen. Moderne Computer können mathematisch-logische Problemstellungen mit einer extrem hohen Geschwindigkeit bearbeiten. Die im Wesentlichen seriell ablaufenden Vorgänge im Prozessor und den Speichermedien zeigen aber trotz der immensen Erfolge in den vergangenen Jahrzehnten Schwächen bei der Muster- und Spracherkennung auf. Dies ist wiederum wichtig für die Darstellung biologischer Informationsverarbeitungssysteme. Denn: Gehirne von Säugetieren und somit auch das des Menschen kodieren und dekodieren Information in komplexen, neuronalen Netzwerken aus Synapsen mit bis zu 1014 (100 Billionen) Verbindungen. Die Verbindungsstärken der Neuronen untereinander sind jedoch nicht starr. Lernen bedeutet deshalb, dass sich neue Verbindungen bilden und bereits bestehende verstärkt oder geschwächt werden , sagt Privatdozent Dr. Thorsten Bartsch, von der Klinik für Neurologie. Man spricht hier von der neuronalen Plastizität.
Ist es aber möglich, mit elektronischen Bauelementen solche neuronalen, parallel arbeitenden Netzwerke aufzubauen, damit Lernvorgänge zumindest ansatzweise nachgeahmt werden können? An dieser Schnittstelle zwischen Neurobiologie, Materialwissenschaft und Nanoelektronik arbeiten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der CAU und des Forschungszentrums Jülich. Ihnen ist es jetzt gelungen, das klassische Experiment aus der Verhaltenspsychologie elektronisch nachzubilden. Dabei haben wir mit memristiven Bauelementen das assoziative Verhalten des Pavlov €™schen Hundes in einer elektronischen Schaltung umgesetzt , erklärt Professor Hermann Kohlstedt, Leiter der Arbeitsgruppe Nanoelektronik an der CAU.
Für das Projekt wurden zwei Spannungsimpulse über einen Memristor an einen Komparator gekoppelt, die repräsentativ das Futter und den Glockenton des Pavlov €™schen Experiments darstellten. Ein Komparator ist ein Schwellenwertgeber, der nur dann ein Ausgangssignal (stellvertretend für den Speichelfluss des Hundes) erzeugt, wenn der Schwellenwert erreicht wird. Darüber hinaus hat der Memristor ebenfalls einen Spannungsschwellenwert, der über die physikalischen und chemischen Prozesse im nanoelektronischen Memristor definiert ist. Unterhalb des Schwellenwertes verhält sich das Bauelement wie ein herkömmlicher linearer Widerstand. Wird jedoch die Schwellenwertspannung überschritten, so zeigt es eine hysteretische (veränderte) Strom-Spannungs-Kennlinie.
Bei der Umsetzung des Experiments führte zunächst nur der Spannungsimpuls 1 (Futter) zu einem Ausgangssignal des Komparators, was als Speichelfluss definiert werden kann. Den anderen Spannungsimpuls 2 (Glocke) haben wir so gewählt, dass der Komparatorausgang keine Änderung zeigte, also im übertragenden Sinne keinen Speichelfluss hervorrief , sagt der CAU-Wissenschaftler Dr. Martin Ziegler, Erstautor der Publikation. Als dann beide Spannungsimpulse zeitgleich auf den Memristor gegeben wurden, wurde ein Überschreiten des Schwellenwertes beobachtet. So hat die Arbeitsgruppe die memristive Gedächtnisfunktion aktiviert. Nach mehrmaligen Wiederholungen, so wie beim Pavlov €™schen Hund, führte dies zu einem assoziativen Lernprozess der Schaltung. Danach nämlich reichte es aus, nur den Spannungsimpuls 2 (Glockenton) anzulegen, und der Komparator erzeugt ein Ausgangssignal, gleichbedeutend mit Speichelfluss , freut sich Ziegler über das Ergebnis. Der Spannungsimpuls 1 (Futter) erzeugt dieselbe Reaktion wie vor dem Lernen. Die elektronische Schaltung zeigte ein Verhalten, das in der Psychologie als klassische Konditionierung bezeichnet wird. Darüber hinaus war es sogar möglich zu zeigen, dass die Schaltung auch wieder verlernen konnte, wenn die Spannungsimpulse nicht mehr gleichzeitig angelegt wurden.
Quelle: Christian-Albrechts-Universität zu Kiel