Erdrotation: Messung von Schwankungen der Erdachse
Einem Forscherteam der TU München haben mit Labormessungen die Schwankungen der Erdachse bestimmen können. Dazu haben Sie in einem Untergrundlabor den weltweit stabilsten Ringlaser konstruiert, an dessen Verhalten sie Veränderungen der Erdrotation ablesen können.
Bislang können Wissenschaftler auf die Wanderungen der Polachse nur indirekt über die Richtung zu Fixpunkten im All schliessen. Die Lage der Achse und die Drehgeschwindigkeit zu messen, ist Voraussetzung für die exakte Bestimmung einzelner Punkte auf der Erde, etwa für moderne Navigationssysteme. Die American Physical Society hat die Arbeit als Exceptional Research Spotlight eingestuft.
Die Erde schlingert. Wie bei einem Brummkreisel, den man antippt, schwankt die Lage ihrer Rotationsachse im Raum, weil die Gravitation von Sonne und Mond auf sie wirkt. Gleichzeitig ändert sich auch die Position der Rotationsachse auf der Erde permanent: Zum einen verursachen Ozeanbewegungen, Wind und Luftdruck eine Bewegung der Pole, die rund 435 Tage dauert ein nach seinem Entdecker Chandler Wobble getauftes Phänomen. Zum anderen ändert sich die Position im Laufe eines Jahres, weil die Erde auf einer elliptischen Bahn um die Sonne rast der Annual Wobble . Die beiden Effekte ergeben eine unregelmässige Wanderung der Erdachse auf einer kreisähnlichen Linie mit einem Radius von maximal sechs Metern.
Diese Schwankungen zu erfassen, ist entscheidend für ein zuverlässiges Koordinatensystem und damit für den Betrieb von Navigationssystemen oder die Vorhersage von Bahnen in der Raumfahrt. Einen Punkt für die GPS-Ortung zentimetergenau zu bestimmen, ist ein hochdynamischer Vorgang schliesslich bewegen wir uns in unseren Breiten pro Sekunde um circa 350 Meter nach Osten , sagt Prof. Karl Ulrich Schreiber, der in der Forschungseinrichtung Satellitengeodäsie der TUM das Projekt geleitet hat. Bislang sind weltweit 30 Radioteleskope im Einsatz, um die Lage der Achse im Raum und die Drehgeschwindigkeit der Erde in einem aufwendigen Prozess zu berechnen. Abwechselnd messen acht bis zwölf von ihnen jeden Montag und Donnerstag die Richtung zu bestimmten Quasaren. Die Wissenschaftler gehen davon aus, dass sich die Position dieser Galaxiekerne nicht ändert und sie deshalb als Fixpunkte dienen können. An dem Verfahren beteiligt ist das Geodätische Observatorium Wettzell, das die TU München und das Bundesamt für Kartographie und Geodäsie (BKG) betreiben.
Mitte der 90er Jahre haben sich Wissenschaftler von TUM und BKG gemeinsam mit Forschern der neuseeländischen University of Canterbury vorgenommen, eine Methode zu entwickeln, die eine weniger aufwendige und eine kontinuierliche Bestimmung des Chandler und des Annual Wobble ermöglicht. Ausserdem wollten wir mit einer Alternative systematische Fehler ausschliessen , sagt Schreiber. Schliesslich wäre es ja möglich, dass die angenommenen Fixpunkte gar keine sind. Die Wissenschaftler hatten die Idee, zu diesem Zweck einen Ringlaser zu konstruieren, wie er in Flugzeugen zur Navigation verwendet wird nur millionenfach genauer. Damals sind wir beinahe ausgelacht worden, weil dies kaum jemand für möglich hielt , erzählt Schreiber.
Doch Ende der 90er Jahre ging auf dem Gelände des Wettzeller Observatoriums der heute weltweit stabilste Ringlaser in Bau. Zwei Lichtstrahlen durchlaufen in entgegengesetzten Richtungen eine quadratisch angeordnete Bahn mit Spiegeln in den Ecken, die in sich geschlossen ist (daher die Bezeichnung Ringlaser). Dreht sich eine solche Apparatur, hat der Laserstrahl in der Drehrichtung einen längeren Weg als der gegenläufige. Die Strahlen passen daraufhin ihre Wellenlänge an, die optische Frequenz ändert sich. Aus dieser
Wie die Drehung der Erde das Licht beeinflusst, ist abhängig vom Standort des Lasers: Stünden wir am Pol, wären Drehachse der Erde und Drehachse des Lasers identisch und wir würden die Drehgeschwindigkeit eins zu eins sehen , erklärt Schreiber. Am Äquator dagegen würde der Lichtstrahl gar nicht merken, dass sich die Erde dreht. Die Wissenschaftler müssen deshalb die Position des Wettzeller Lasers auf dem 49. Breitengrad berücksichtigen. Ändert sich nun die Achse der Erdrotation, ändert sich auch das, was die Forscher von der Drehgeschwindigkeit sehen. Die Veränderungen im Verhalten des Lichts zeigen also die Schwankungen der Erdachse an.
Das Prinzip ist einfach , sagt Schreiber. Die grosse Schwierigkeit bestand darin, den Laser so stabil zu halten, dass wir ein solch schwaches geophysisches Signal störungsfrei messen können und das über Monate. Das heisst, die Wissenschaftler mussten Änderungen in den Frequenzen ausschliessen, die nicht von der Drehbewegung der Erde, sondern von Umwelteinflüssen wie Luftdruck und Temperatur herrühren. Ihre wichtigsten Instrumente: eine Glaskeramikplatte und eine Druckkabine. Auf die neun Tonnen schwere Platte aus Zerodur haben die Forscher den Ringlaser montiert, auch die balkenartigen Halterungen wurden aus dem Werkstoff gefertigt. Dieser hat den grossen Vorteil, auf Temperaturänderungen kaum zu reagieren. Geschützt wird die Konstruktion durch die Druckkabine. Sie registriert Änderungen des Luftdrucks und der Temperatur von 12 Grad und steuert automatisch gegen. Um solche Einflüsse von vornherein gering zu halten, liegt das Labor in fünf Metern Tiefe, nach oben hin isoliert mit Schichten aus Styrodur und Ton sowie einem vier Meter hohen Erdhügel. Die Wissenschaftler müssen durch einen 20 Meter langen Tunnel mit fünf Kühlraumtüren und einer Schleuse gehen, um zum Laser zu gelangen.
Unter diesen Bedingungen ist es den Forschern gelungen, die aus den Messungen der Radioteleskope stammenden Daten zur Ausprägung des Chandler Wobble und des Annual Wobble zu bestätigen. Ihr nächstes Ziel ist nun zum einen, die Genauigkeit der Konstruktion so zu erhöhen, dass sie Veränderungen der Erdrotationsgeschwindigkeit eines einzelnen Tages erfassen kann. Zum anderen wollen sie Ringlaser für einen dauerhaften Betrieb rüsten, bei dem die Apparatur auch über Jahre keine Abweichungen produziert. Karl Ulrich Schreiber: Salopp gesagt: Wir wollen künftig mal eben in den Keller gehen können und nachschauen, wie schnell sich die Erde gerade dreht.
Quelle: Technische Universität München