Wichtiger Abstimmungsvorgang zwischen Gleichgewichtssinn und Auge verstanden
Damit unser Auge ein scharfes und ruckelfreies Bild liefert, muss es eng mit dem Gleichgewichtssinn gekoppelt sein. Ist die Abstimmung gestört, sehen wir unscharf und uns wird schwindelig. Forscher des Bernstein Zentrums München, der LMU München und des Integrierten Forschungs- und Behandlungszentrums IFB-LMU konnten nun eine wichtige Stufe des Zusammenspiels aufklären: ob Nervenzellen dieser Einheit Informationen über den Beginn oder die Dauer einer Kopfbewegung an die Augenmuskeln leiten, hängt von einem einzigen Membran-Kanaltyp und der Vernetzung der Zellen untereinander ab. Optimierte Schwindel-Therapien und Entwicklungen ruckelfreier Kamerasysteme könnten von der Forschung profitieren.
Gerade einmal drei Verarbeitungsschritte im Gehirn sind nötig, um Daten aus dem Gleichgewichtsorgan zu verarbeiten und an die Augenmuskeln zu leiten. Dadurch kann sich das Sehsystem in Sekundenbruchteilen an Kopfbewegungen anpassen. Während im ersten und letzten Schritt die Informationen vor allem von den Sensoren weg beziehungsweise an die Muskeln hingeleitet werden, findet im zweiten Schritt die entscheidende Verarbeitung der Informationen statt. Beteiligt daran sind Nervenzellen mit ganz unterschiedlichen Eigenschaften: der eine Typ ist nur während des Startzeitpunkts einer Bewegung aktiv. Der andere Typ feuert gleichmässig während der gesamten Bewegung. Den Grund dafür haben nun Dr. Stefan Glasauer, wissenschaftlicher Mitarbeiter am Bernstein Zentrum München und an der Ludwig-Maximilians-Universität München, und sein Doktorand Christian Rössert in Zusammenarbeit mit Professor Hans Straka, Neurobiologe an der LMU, herausgefunden. Für ihre Studien, die sie im Journal of Neuroscience* veröffentlichten, nutzten sie das bereits gut verstandene Gleichgewichtsorgan bei Grasfröschen.
Auf Grundlage experimenteller Daten erstellten die Wissenschaftler am Computer Simulationen, welche die Informationsverarbeitung der Nervenzellen nachbildeten: In der Simulation können wir die Zellen in beliebiger Weise mit Ionenkanälen bestücken, zusammenschalten und messen , erklärt Glasauer die Vorteile der Modelle. Und mehr noch: Wir können den simulierten Frosch sogar hüpfen lassen, um die Datenverarbeitung zu testen , so Glasauer. Zuerst untersuchten die Forscher in einer simulierten Einzelzelle, welchen Einfluss bestimmte Membrankanäle auf die Weiterleitung eingehender Reize haben. Dabei zeigte sich, dass zwei Versionen eines Kanalproteins den Zellen unterschiedlichen Funktionen verleihen: Zellen mit dem einen Kanaltyp erwiesen sich als geeignet für die Weiterleitung des genauen Startzeitpunkts, während Zellen mit dem anderen Typ für die gesamte Dauer des Reizes feuern. In einer Simulation mehrerer Nervenzellen fanden die Forscher zudem, dass die Verschaltung der Zellen eine wichtige Rolle für die Verarbeitung spielt. Die Kombination von experimenteller Biologie und Modellbildung half entscheidend dabei, wichtige Grundlagen der Verarbeitung von Bewegungsinformationen zu verstehen , erläutert Glasauer. Auch für die klinische und technische Forschung sind die Ergebnisse von Bedeutung.
Von den Forschungsergebnissen könnten unter anderem Patienten mit Kleinhirnschädigungen profitieren. Betroffene können bei schnellen Kopfbewegungen nicht mit den Augen gegensteuern, gleichmässige Bewegungen aber richtig verarbeiten. Möglicherweise liegt dabei die Schädigung eines der Zelltypen vor. Auch für wackelfreie Kamerasysteme, wie sie zum Beispiel in Fahrerassistenzsystemen in Autos oder Hubschraubern eingesetzt werden, könnte die hocheffiziente neuronale Verarbeitung als Vorbild dienen.
Quelle: Nationales Bernstein Netzwerk Computational Neuroscience