EHEC-Erreger: Auf der Suche nach der Ursache der schweren Verläufe
Am letzten Wochenende ist sowohl die Zahl der Infizierten als auch die der Todesfälle weiter gestiegen. Besonders beunruhigend ist, dass die Infektionsquelle immer noch nicht eindeutig identifiziert ist und der EHEC-Keim sich nur schwer behandeln lässt. Auch Plasmapherese und Dialyse helfen nicht in jedem Fall.
An den beiden Standorten des UKSH in Kiel und Lübeck werden EHEC-Patienten behandelt, davon viele mit dem lebensbedrohlichen HU-Syndrom, bei dem die Nieren versagen und es zu schweren neurologischen Störungen kommen kann. Umso dringender ist es, möglichst schnell mehr über die Erkrankung herauszufinden, um gezielter eingreifen zu können und zu verstehen, warum manche durch den EHEC-Erreger besonders schwer erkranken und das gefürchtete HU-Syndrom entwickeln, andere dagegen nicht.
Die Wissenschaftler des UKSH arbeiten mit Hochdruck daran, dem EHEC-Erreger auf die Spur zu kommen und die Ursachen für die lebensgefährlichen Komplikationen im Verlauf der Erkrankung zu identifizieren. Das reibungslose Zusammenspiel von Forschung und Krankenversorgung verschafft den Patienten des UKSH dabei entscheidende Vorteile. Besonderer Pluspunkt des UKSH: Die grosse Erfahrung aus dem Exzellenzzentrum Entzündungsmedizin in Kiel und Lübeck, das sich mit den Ursachen schwerer Entzündungszustände intensiv beschäftigt hat. Mit dem Exzellenzcluster Entzündung verfügt das UKSH über hervorragendes Know-How und ausserordentliche wissenschaftliche Expertise auf diesem Gebiet.
Die EHEC-Krise ist für uns sowohl als Mediziner wie auch als Wissenschaftler die grßte Herausforderung der vergangenen Jahrzehnte, vergleichbar wohl nur mit der Durchfallerkrankung Ruhr, der im und nach dem 2. Weltkrieg viele Menschen zum Opfer fielen. Wir werden neben den Krankenversorgungskapazitäten einer Uniklinik, die derzeit mehr als 80 lebensbedrohlich an EHEC Erkrankte behandelt, auch unsere wissenschaftlichen Kapazitäten konzentriert einsetzen, um die Ursachen für die schweren Komplikationen aufzuklären. Nicht jeder, der mit EHEC infiziert wird, entwickelt die fürchterlichen Krankheitsverläufe, die wir derzeit beobachten. Wenn wir aus dieser Epidemie verstehen können, was die Menschen anfällig macht, dann sind wir und die Bevölkerung besser gerüstet , erklärt Prof. Dr. Stefan Schreiber, Direktor der Klinik für Innere Medizin I am Campus Kiel. Insbesondere die Entwicklung des hämolytisch-urämischen Syndroms und eines Kapillarschadens der Lunge und Hirngewebe führt zu mitunter tödlichen Komplikationen der Erkrankung. Der intensive Einsatz der Plasmapherese sowie modernster Medikamente, den wir jetzt an vielen Patienten überblicken, vermag das Krankheitsbild zu bessern aber sicher nicht schnell zu heilen , so der Nephrologe Prof. Dr. Ulrich Kunzendorf. Wir werden jetzt unsere Biobank Popgen einsetzen, um schnell Antworten für die Bevölkerung zu bekommen und damit früher aktiv eingreifen zu können , sagen die beiden Mediziner.
„Wir sind froh, dass der Wissenschaftsstandort Schleswig-Holstein über ein fusioniertes UKSH verfügt, das als landeseigenes Klinikum sofort seine Kräfte bündeln kann, um einer Epidemie wie der EHEC-Infektion mit aller Macht entgegenzutreten. Das UKSH als eines der grßten Krankenhäuser Deutschlands kann den Betroffenen nicht nur eine exzellente Behandlung auch unter Katastrophenbedingungen bieten. Jetzt zahlt sich aus, dass wir immer wieder die epidemiologische Forschung der Universitären massiv unterstützt haben. Mit der Biobank popgen, die in Kiel und Lübeck arbeitet, und den Möglichkeiten des Exzellenzclusters werden wir begleitend zur Therapie die Ursachen der schweren Fälle aufklären und damit ein einmaliges Wissen für die Patienten schaffen , betont Prof. Dr. Jens Scholz, Vorstandsvorsitzender des UKSH.
Popgen ist eine der weltweit grßten nationalen Biobanken. Ihre Aufgabe ist die Erstellung von Krankheitskohorten, die für die Erforschung der genetischen Ursachen von Krankheiten verwendet werden können. In den letzten Jahren war es so möglich, die Ursachen für den Morbus Crohn, die Colitis ulcerosa, die Psoriasis und die Lungenerkrankung Sarkoidose aufzuklären. Damit ist erstmalig die Möglichkeit vorhanden, die wirklichen, primären Ursachen der Krankheiten zu finden.
Popgen wird jetzt mit der gesamten Maschinerie eingesetzt, um herauszufinden, warum manche Menschen durch EHEC besonders kritisch erkranken. Dabei helfen uns die Vorarbeiten, durch wir die Genetik von vielen Tausend Schleswig-Holsteinern kennen , erklärt Prof. Schreiber das Vorgehen. Durch diese Forschung wird es möglich sein, Risikoverläufe vorherzusagen und damit gezielter eingreifen zu können, noch bevor das Nierenversagen eintritt oder das Hirn befallen wird
Insgesamt sind mehrere Tausend Patienten mit EHEC exponiert worden, von denen nur ein kleiner Teil sehr krank geworden ist. Nicht jeder Infizierte entwickelt das gefürchtete HUS als Komplikation. Wir haben die Möglichkeit, durch einen DNA-Vergleich der in Norddeutschland Erkrankten mit den Informationen aus der Popgen-Datenbank evtl. auch die Ursache für eine besondere Empfänglichkeit (Suszeptibilität) für die EHEC Infektion und für das HUS herauszufinden , erläutert Prof. Dr. Ute Nöthlings, Leiterin der Sektion Epidemiologie am Institut für Experimentelle Medizin in Kiel.
Zurzeit werden auf Initiative des UKSH die Blutproben aller rund 400 in Schleswig-Holstein mit EHEC infizierten Patienten gesammelt, ebenso in Hamburg und Niedersachsen. Mitarbeiter des UKSH nehmen über die Gesundheitsämter, denen alle Fälle gemeldet werden, Kontakt zu allen Krankenhäusern im Land auf, die EHEC-Patienten behandeln. Die aktuellen Proben werden ins UKSH geschickt, wo dann die DNA isoliert und typisiert wird. Auf jeder Probe sind rund eine Million genetische Marker verteilt. Wir vergleichen die DNA der EHEC-Infizierten mit der von gesunden Schleswig-Holsteinern und suchen nach Übereinstimmungen, um genetische Risikofaktoren für die Infektion zu erkennen , berichtet Prof. Ute Nöthlings, Epidemiologin und Leiterin der Biobank popgen in Kiel. Dabei könnte sich z.B. herausstellen, dass alle Patienten, die am HU-Syndrom leiden, einen bestimmten Marker aufweisen, der Vorgänge in der Niere beeinflusst. An diesem Punkt könne man dann bei der Suche nach neuen Therapiemöglichkeiten ansetzen, so Nöthlings.
Quelle: Universitätsklinikums Schleswig-Holstein