Mars Express-Sonde: Scanner über dem Roten Planeten
DLR-Wissenschaftler verarbeiten seit sieben Jahren die Daten der Mars Express-Kamera HRSC
Vulkane, Gräben, Runzelrücken und Einschlagkrater: Wie ein Scanner tastet die Stereokamera HRSC auf der europäischen Mars Express-Sonde seit dem 10. Januar 2004 die Oberfläche des Roten Planeten ab. Doch bevor das Auge des Betrachters in 3D über die Marsoberfläche blicken kann, müssen die Aufnahmen geplant, die Daten kontrolliert und anschliessend zu Bildern verarbeitet werden. Dafür sind die Wissenschaftler des DLR-Instituts für Planetenforschung und der Freien Universität Berlin seit sieben Jahren zuständig.
Mit der PC-Maus nur einen Millimeter weiter nach rechts, und schon taucht anstelle des Mauszeigers ein kleiner Totenkopf auf dem Bildschirm auf. „Dieses Gebiet auf dem Mars kann von der Stereo-Kamera bei diesem Überflug nicht mehr aufgezeichnet werden“, erklärt Ernst Hauber vom Institut für Planetenforschung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR). Eine kurze Handbewegung nach links und das Planungsprogramm lässt den Totenkopf verschwinden – erst jetzt wäre bei der angezeigten Umlaufbahn für die Mars Express-Sonde ein Ort auf dem Roten Planeten ausgewählt, den Hauber für Aufnahmen einplanen könnte. Fast 9000 Orbits ist die europäische Sonde Mars Express seit der ersten Marsaufnahme der Stereo-Kamera HRSC (High Resolution Stereo Camera) am 10. Januar 2004 bereits um den Planeten geflogen. Dabei hat sie 450 Millionen Kilometer zurückgelegt. Welche Bahnen die Sonde in den nächsten drei Monaten über den Mars ziehen wird, kann Hauber Orbit für Orbit auf seinem Bildschirm sehen. Markiert er eine Region, weiss der Planetenforscher nach wenigen Mausklicks: Ist es an dieser Position Tag oder Nacht während des Überflugs? Wie hoch steht zu diesem Zeitpunkt die Sonne über dem Horizont? Welchen Winkel hat die Kamera zur Marsoberfläche?
In wöchentlichen Telefonkonferenzen mit allen Partnern – unter anderem der Europäischen Raumfahrtorganisation ESA, die den Orbiter steuert – wird dann geklärt, wohin die Kamera bei ihren nächsten Aufnahmen blicken soll. Das Ziel der DLR-Wissenschaftler: erstmals die gesamte Oberfläche des Mars in hoher Auflösung, in Farbe und 3D zu kartieren. Obwohl der Mars vom Durchmesser her nur halb so gross wie die Erde ist, sind das trotzdem fast 150 Millionen Quadratkilometer – das entspricht der Fläche aller Kontinente auf der Erde.
Staubteufel, Stürme und Eis
Am 25. Dezember 2003 erreichte die Marssonde ihr Ziel, am 10. Januar 2004 ging die hoch auflösende Stereokamera, die am DLR-Institut für Planetenforschung in Berlin entwickelt wurde, zum ersten Mal in Betrieb. Seitdem scannt sie den Mars beim Überflug mit gleich neun lichtempfindlichen Detektoren in unterschiedlichen Blickwinkeln. So kann dieselbe Stelle mit minimaler Zeitverzögerung, dafür aber bei identischen Licht- und Atmosphärenbedingungen gleich mehrfach aus etwa 250 Kilometern Höhe aufgezeichnet werden – die gewonnenen Daten liefern den Wissenschaftlern Informationen über Höhen und Tiefen der Planetenoberfläche. Rund zwei Drittel der Marsoberfläche sind bereits in guter Qualität aufgenommen, 40 Prozent des Himmelskörpers sogar mit einer Auflösung von etwa zehn Metern pro Pixel, die aus einer Höhe von 250 Kilometern bei der grßten Annäherung der Sonde in ihrer elliptischen Umlaufbahn erreicht wird. „Jetzt geht es vor allem darum, Lücken zu schliessen und schlechte Aufnahmen durch gute zu ersetzen“, sagt Hauber. Bis 2014 haben die Wissenschaftler dafür Zeit. Ursprünglich sollte die Mission nur zwei Erdenjahre dauern, doch die ESA verlängerte die Dauer bereits vier Mal.
Jede erstellte Aufnahme wird von den Wissenschaftlern genau auf ihre Qualität hin überprüft. Aufwirbelnde Staubteufel, die den Sand bis in mehrere Kilometer Höhe schleudern, heftige Stürme im Frühjahr und Herbst oder auch die eisbedeckten Pole des Mars machen die Aufnahmebedingungen immer wieder schwierig. Welche der verschiedenen Farbkanäle die Kamera aufzeichnen sollen und welche Belichtungszeit für Sonnenstand und Mars-Terrain am günstigen sind – „Das entscheiden wir mit einer Mischung aus Berechnungen und Erfahrungswerten“, sagt Ernst Hauber. Die festgelegten Bedingungen für die Aufnahmen werden von Ingenieuren dann zu Kommandos umgewandelt und vom Europäischen Raumfahrt-Kontrollzentrum der ESA in Darmstadt an die Sonde in ihrer Umlaufbahn gesendet.
Optimierung für das perfekte Bild
„Es gibt Gebiete auf dem Mars, die wir drei Mal aufgezeichnet haben, und von denen wir wetterbedingt drei Mal schlechte Bilder erhalten haben“, sagt Experimentdatenmanager Dr. Thomas Roatsch. Gerade einmal anderthalb Gigabyte gross ist die Datenmenge, die die Sonde speichern kann, bevor sie die Daten zur Erde sendet. „Eine Datenmenge, die heute ohne Probleme auf jeden USB-Stick passen würde“, sagt Roatsch lachend. Als die Kamera Ende der 90er Jahre für den Weltraumeinsatz ab 2003 startklar gemacht wurde, waren solche Speichergrßen Standard. Zudem wäre auch die Antenne der Sonde mit der Übertragung grßerer Datenmengen überfordert. Die in der Kamera in Echtzeit komprimierten Daten, die im Weltall auch der kosmischen Strahlung standhalten müssen, haben dennoch alles, um präzise Bilder der Marsoberfläche zu erzeugen. Zunächst zerlegt Roatsch die Datenmenge in neun Pakete, die den neun verschiedenen Blickwinkeln der Detektoren entsprechen. Anschliessend werden die Daten radiometrisch kalibriert, das heisst, Roatsch stimmt die Qualität der 5184 Pixel pro Bildzeile aufeinander ab und entfernt kleinere Störungen, wie sie auch jeder Hobbyfotograf von seinen digitalen Aufnahmen kennt. „Das so genannte Dunkelrauschen wird dabei korrigiert“, erklärt Roatsch. Schliesslich wird jedem einzelnen Bild-Pixel genau die Position der Sonde während des Moments der Aufnahme zugeordnet – der kritischste Punkt bei der Erstellung der Marsbilder, denn nur so können exakte Karten der Marsoberfläche entstehen. Die hoch präzisen Angaben dazu werden vom Raumfahrt-Kontrollzentrum der ESA geliefert.
Da jede aufgenommene Stelle auf dem Mars gleich aus neun Blickwinkeln aufgenommen wurde, kann mit diesen Angaben die Höhe der Marsregion errechnet werden. Das Stereoprinzip der Kamera ähnelt im Grunde genommen der Methode, mit der die Augen des Menschen die Umwelt räumlich, also in 3D, sehen. Allerdings: Auch wenn das Bild der Marsoberfläche Zeile für Zeile aufgenommen wird – die Mars Express-Sonde kann sich dabei leicht drehen oder auch die Höhe verändern. „Deshalb müssen wir das Bild geometrisch entzerren“, sagt Frank Preusker vom Institut für Planetenforschung. Als Vergleichswerte für die Höhen dienen dabei die Aufnahmen des Mars Orbiter Laser Altimeter (MOLA), das an Bord des Mars Global Surveyor von 1997 bis 2001 punktuell Daten zur Oberfläche des Planeten erfasste. Anschliessend wird ein erstes digitales Höhenmodell berechnet. „Dieses Höhenmodell ist aber zunächst noch vorläufig“, sagt Preusker.
Täler und Höhen in 3D
Auf Preuskers Bildschirm erscheint ein Bild, in dem es vor bunten Farben nur so wimmelt. „Je dunkler die Farben, um so besser konnte die Aufnahme vom Mars optimiert werden“, sagt er und zeigt auf einen Bereich, in dem das Bild schon deutlich harmonischer aussieht. Immer wieder lässt Preusker durch ein Programm die Aufnahmeposition und -blickrichtung der Kamera geringfügig variieren, um noch bessere Werte zu erhalten. Mit jedem Vorgang tastet sich der Wissenschaftler so an die bestmögliche Version eines digitalen Geländemodells der Marsoberfläche heran. Pro Landschaftsstreifen, den die Stereokamera mit einer Breite von mindestens 52 Kilometern und einer Länge von mehreren hundert Kilometern aufnimmt, dauert die Optimierung bis zu anderthalb Tage. „Dabei sind nicht alle Gebiete auf dem Mars ideal für die Stereokamera: Wenig strukturierte Flächen wie die Tiefebene in der nördlichen Hemisphäre ohne Krater oder Becken bieten uns kaum markante Punkte, an denen wir unsere Aufnahme ausrichten können.“ Kritischster Betrachter bleibt bei aller technischer Unterstützung durch Software dennoch das Auge: „Wir gucken uns jedes Bild genau an und kontrollieren: Was ist noch nicht optimal?“, sagt Preusker. „Die Erfahrung hilft dann dabei, zu entscheiden, an welcher Schraube man drehen muss.“
Schritt für Schritt entstehen so präzise digitale Bildkarten des Mars. Bis heute hat das HRSC-Team, das von Prof. Ralf Jaumann vom DLR-Institut für Planetenforschung geleitet wird, 227 Gigabyte Rohdaten zu 2,7 Terabyte kartographisch korrekten Bilddaten und 670 Gigabyte an hochgenauen digitalen Geländemodellen verarbeitet. Um den Mars in 3D ins rechte Licht zu rücken, braucht es nur zwei Farbbilder, die unter verschiedenen Winkeln aufgenommen und leicht zueinander versetzt überlagert werden. Mit der Rot-Grün- oder der Rot-Blau-Brille können so ganz plastisch Gräben und Höhenzüge auf dem Roten Planeten gezeigt werden. „Wichtig ist für die Forschung, dass die Oberfläche des Mars exakt wiedergegeben wird“, sagt Preusker. Was die Aufnahmen über den Mars aussagen, überlässt er seinen Kollegen: „Wir verarbeiten die Bilder – interpretieren müssen die Geologen.“
Quelle: DLR