Risikobereitschaft von Vögeln: Stress macht zurückhaltend
Vögel wie die Kohlmeisen sind unterschiedlich neugierig. Für die Verhaltensforschung wurden zwei Kohlmeisenlinien gezüchtet, die sich in der Bereitschaft unterscheiden, ein Risiko einzugehen. Mareike Stöwe von der Abteilung für Medizinische Biochemie an der Veterinärmedizinischen Universität Wien hat signifikante Unterschiede in der Produktion von Glukokortikoiden bei den beiden Linien nachgewiesen. Zudem fand sie, dass die risikobereiteren Individuen auf Stress mit einer dramatischen Erhöhung der Glukokortikoidproduktion reagieren, während diese Reaktion vorsichtigen Meisen viel schwächer ausgeprägt ist. Stöwes Arbeit wurde in der Ausgabe 58 der Zeitschrift Hormones and Behavior veröffentlicht.
Kohlmeisen sieht man in Gärten und Parks in Europa und Asien häufig. Die Art gilt allgemein als sehr neugierig, es gibt aber starke Unterschiede zwischen einzelnen Individuen beim Erkunden neuer Umgebungen. Schnelle, risikobereite Tiere erforschen ihre Umgebung vergleichsweise forsch, während langsame Tiere bei der Erkundung eher zurückhaltend sind. Diese Unterschiede sind zumindest teilweise genetisch bedingt. Forscher in Holland, mit denen die Wiener Gruppe eng zusammenarbeitet, haben über mehrere Kohlmeisengenerationen zwei Linien gezüchtet, die sich in der Bereitschaft Risikos einzugehen unterscheiden.
Mehr Neugier, weniger Hormon
Um Blutabnahmen zu vermeiden, analysierte Stöwe Abbauprodukte von Glukokortikoiden in den Ausscheidungen der Nestlinge der Kohlmeisenlinien. Sie fand, dass die Jungen der zurückhaltenden Meisen mehr Glukokortikoide ausschieden als die der risikobereiteren. Stöwe untersuchte auch die Reaktion der Nestlinge auf Stress. Dabei reagierten die risikobereiteren Nestlinge mit einer dramatischen Erhöhung der Hormonproduktion, diese Reaktion war bei den vorsichtigeren Tieren weitaus weniger stark ausgeprägt. Damit konnte sie zeigen, dass risikobereitere Meisen hormonell stärker auf Stress reagieren als ihre zurückhaltenden Artgenossen.
Mutig zu sein ist nicht immer besser
Stöwes Arbeit zeigt erstmals, dass Vögel, die gezielt auf Unterschiede in der Risikobereitschaft hin gezüchtet wurden, sowohl deutliche Unterschiede in der Grundkonzentration von Stresshormonen als auch in ihrer Reaktion auf Stress zeigen. Man weiss heute, dass diese Faktoren für das Überleben der Jungtiere wichtig sind. Stöwes neue Forschungsergebnisse könnten vermuten lassen, dass forsche Vögel Vorteile gegenüber vorsichtigen Tieren haben. Da aber Umweltfaktoren für das Überleben der Tiere entscheidend sind, hängt es von konkreten Situationen ab, ob risikobereite oder zurückhaltende Meisen im Vorteil sind. Eine hohe Dichte an Räubern zum Beispiel könnte dafür sorgen, dass Mut nicht länger belohnt wird. Die grosse Bandbreite im Verhalten ist möglicherweise wichtig, damit die Vögel mit stark unterschiedlichen Umweltbedingungen zurechtkommen.
Stress macht zurückhaltend
Da eine hohe Konzentration an Glukokortikoiden bei Jungvögeln auch mit intensiverem Bettelverhalten in Verbindung gebracht wird, untersuchte Stöwe das Bettelverhalten der forschen und vorsichtigen Nestlinge. Zwar fand sie keine Unterschiede zwischen den beiden Linien, doch bettelten männliche Nestlinge deutlich häufiger als weibliche. Unter der Einwirkung von Stress verschwand dieser Unterschied jedoch. Stöwe dazu: Männliche Nestlinge werden schwerer und betteln mehr, um sicher zu gehen, genug Futter zu bekommen. Wenn sie aber verängstigt sind, verhalten sie sich genau so wie weibliche Nestlinge.
Quelle: Veterinärmedizinische Universität Wien