Ballon fliegt im Nordpolarwinter hinter dem Polarkreis
Um die Stratosphäre zu erkunden haben Forscher gewaltige Ballons eingesetzt, die in der Lage sind auch gewichtige Instrumente mit über einer halbe Tonne Gewicht in Höhen von mehr als 30 Kilometern transportieren zu können. Die Ballons haben bei dem dort herrschenden geringen Luftdruck einen Durchmesser von rund 90 Metern. Ein von KIT-Forschern durchgeführtes Ballon-Experiment konnte nun erstmals den kompletten Tagesgang der Chemie im arktischen Polarwirbel bei Temperaturen nahe -90 °C vermessen.
Am 24.1.2010 um 1:46 Uhr startete die vom Institut für Meteorologie und Klimaforschung (IMK) des Karlsruher Instituts für Technologie (KIT) koordinierte 750 kg schwere Ballonnutzlast zu einem 13-stündigen Messflug mitten in den nahezu -90 °C kalten Polarwirbel. Der Ballon wurde vom Esrange Space Center nahe Kiruna von der Swedish Space Corporation gestartet und erreichte eine Höhe von rund 34 km. Noch nie zuvor war ein Ballon dieser Grße im Nordpolarwinter bei derart niedrigen Temperaturen gestartet worden. Der mit Helium gefüllte Ballon erreichte am Gipfelpunkt ein Volumen von 400.000 m3, was einer Kugel mit einem Durchmesser von ca. 90 m entspricht.
„Schon beim Start betrug die Temperatur am Boden nur ungemütliche -29 Grad Celsius“, erläutert der wissenschaftliche Projektleiter Hermann Oelhaf vom Institut für Meteorologie und Klimaforschung am Karlsruher Institut für Technologie. „Beim Aufstieg des Experiments durch die kalte untere Stratosphäre sank die Gastemperatur im Ballon sogar auf -101 Grad Celsius. Wir mussten deshalb die Aufstiegsgeschwindigkeit mittels Ventil und Ballastabwurf sorgfältig steuern, um Risse in der bei diesen Temperaturen spröde werdenden Ballonhülle zu vermeiden.“
Die wissenschaftliche Nutzlast in der Ballongondel bestand aus drei Instrumenten zur Fernerkundung des chemischen Zustandes im Polarwirbel: MIPAS-B, TELIS und DOAS. MIPAS-B ist die am KIT entwickelte Ballonversion des auch auf dem europäischen Satelliten ENVISAT fliegenden Infrarot-Spektrometers MIPAS. TELIS ist ein vom Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) in Oberpfaffenhofen und von der niederländischen Raumfahrtorganisation SRON gemeinsam betriebenes Mikrowellen-Spektrometer. Das DOAS-Instrument wird vom Institut für Umweltphysik an der Universität Heidelberg betrieben und arbeitet im ultravioletten und sichtbaren Spektralbereich. Die Kombination dieser drei Instrumente auf ein und derselben Ballongondel ist weltweit einzigartig. Sie erlaubt es, genaue Höhenprofile von mehr als 30 Spurengasen in der Stratosphäre sowohl bei Tag als auch bei Nacht zu messen.
Hauptziele der Ballonmission des IMK waren die Beobachtung der Tag/Nacht-Variationen von chlor- und bromhaltigen Verbindungen, die für den Abbau der Ozonschicht verantwortlich sind und die Validierung von Atmosphärenmessungen aus dem Weltraum (insbesondere mit Instrumenten auf dem ENVISAT-Satelliten und auf der internationalen Raumstation ISS). Der Ballonflug wurde von der Deutschen Raumfahrtagentur mitfinanziert.
Gleichzeitig war der Ballonflug mit der derzeit in Kiruna laufenden internationalen RECONCILE-Messkampagne abgestimmt, an der das KIT ebenfalls beteiligt ist. Hier kommt auf dem russischen Höhenforschungsflugzeug Geophysica die Flugzeugversion von MIPAS zum Einsatz.
Die Daten aus diesen Kampagnen sind notwendig für die Vertiefung des wissenschaftlichen Verständnisses der stratosphärischen Chemie und der Klima-Chemie Wechselwirkungen, besonders hinsichtlich der Ozonzerstörung im polaren Wirbel. Mit den hierbei gewonnenen Erkenntnissen hoffen die Forscher, numerische Modelle zur Simulation atmosphärischer Prozesse verbessern zu können, um schliesslich zuverlässigere mittel- und langfristige Klimaprognosen zu erstellen.
Das Karlsruher Institut für Technologie (KIT) ist eine Körperschaft des öffentlichen Rechts und staatliche Einrichtung des Landes Baden-Württemberg. Es nimmt sowohl die Mission einer Universität als auch die Mission eines nationalen Forschungszentrums in der Helmholtz-Gemeinschaft wahr. Das KIT verfolgt seine Aufgaben im Wissensdreieck Forschung – Lehre – Innovation.
Quelle: Karlsruher Institut für Technologie