Erdbebengefahr: Spannungen in Verwerfungszone südlich von Istanbul
Erdbeben sind eine grosse Gefahr für die dicht bebauten Grossstädte in den Industrieländern. In der Türkei weisen die Erdbeben, die entlang der Nordanatolischen Verwerfung südlich von Istanbul aufgetreten sind, eine Lücke auf. Die hier zu erwartenden Erdbeben stellen eine extreme Gefahr für die türkische Grossstadt dar, insbesondere wenn die Störung mit einem einzigen Beben bricht. Eine neue Computerstudie zeigt nun, dass sich die Spannungen in diesem Teil der Verwerfungszone in mehreren Erdbeben anstatt eines einzelnen grossen Bebenereignisses entladen könnten. In der neuen Ausgabe von Nature Geosciences (Nature Geoscience, vol 3, doi:10.1038/NGEO739) stellen Tobias Hergert vom Karlsruhe Institut für Technologie und Oliver Heidbach vom Deutschen GeoForschungs-Zentrum GFZ die Ergebnisse der Computersimulation vor, die im Rahmen des Projektes Megacity Istanbul von CEDIM (Center for Disaster Management and Risk Reduction Technology) erstellt wurde.
Das Izmit-Erdbeben vom August 1999 forderte 18.000 Todesopfer und war mit einer Magnitude von 7,4 das jüngste Beben einer Serie, die 1939 im Osten der Türkei begann und sukzessive die Plattengrenze zwischen der Anatolischen und der Eurasischen Platte nach Westen bis Izmit 1999 zum Versagen bracht. Das nächste Beben in dieser Serie wird folglich westlich von Izmit, also südlich von Istanbul, erwartet. Die Stadt hat also ein bedrohliches Erdbebenrisiko.
Eine wichtige Grße zur Beurteilung der seismischen Gefährdung sind die Bewegungsraten der tektonischen Störungen. Hergert und Heidbach zerlegten für ihre Studie das Gebiet in 640.000 Elemente, um die Kinematik des Störungssystems dreidimensional zu bestimmen. „Die Modellergebnisse zeigen, dass die Bewe-gungsraten an der Hauptstörung zwischen 10 und 45% geringer sind als bisher angenommen“, sagt dazu Oliver Heidbach vom GFZ. „Zudem variieren die Bewegungsraten um 40% entlang der Hauptstörung.“ Diese Variabilität interpretieren die Autoren als Hinweis darauf, dass die aufgebaute Spannung in der Erdkruste anstelle eines einzelnen, gewaltigen Bebens sich auch in zwei oder drei Erdbeben mit geringerer Magnitude entladen kann. Eine Entwarnung für Istanbul bedeutet das überhaupt nicht: Die Autoren weisen in ihrem Artikel ausdrücklich darauf hin, dass die geringe Entfernung der Hauptstörung zu Istanbul nach wie vor ein extremes Erdbebenrisiko für die Mega-City darstellt. Die Verwerfungszone ist weniger als 20 Kilometer von der Stadtgrenze entfernt. Hinzu kommt, dass auch diese kleineren Beben grßer als Magnitude 7 sein können; Vorsorge vor dem Eintritt eines Bebens ist somit unerlässlich.
Quelle: Helmholtz-Zentrum Potsdam – Deutsches GeoForschungsZentrum GFZ