Gendefekt kann zu überschiessender Immunreaktion führen
Ein defektes Immunsystem kann nicht nur zu schwach, sondern auch zu stark reagieren. Dafür verantwortlich sind erbliche Gendefekte. Ist ein bestimmtes Gen, das für die Erkennung von Bakterien zuständig ist, geschädigt, versucht das Immunsystem diese angeborene Schwäche durch eine erhöhte Aktivität an anderer Stelle auszugleichen – und schiesst dabei manchmal über das Ziel hinaus: Es beginnt gutartige Bakterien, die für eine gesunde Darmflora sorgen, anzugreifen. Die Folge sind chronisch entzündliche Darmkrankheiten wie Morbus Crohn. Dies hat nun ein internationales Team unter der Leitung von Ärztinnen und Forschern der Universität Bern und des Inselspitals herausgefunden. Ihre Studie wird im Fachjournal „Science“ publiziert.
Zusammenspiel von „alten“ und „modernen“ Immunzellen
Unser Immunsystem besteht aus zwei Teilen: Ein stammesgeschichtlich „alter“ Teil enthält Zellen, die unmittelbar alles auffressen und abtöten, was entzündlich sein könnte. Der „moderne“ Teil produziert Antikörper sowie spezielle Immunzellen (T-Zellen), die schädliche Bakterien hochpräzise beseitigen. Diese treten jedoch wesentlich langsamer in Aktion als die „alten“ Fresszellen. Bisher konzentrierte sich die Forschung hauptsächlich darauf, wie die „modernen“ Immunzellen die Darmbakterien kontrollieren. Anders die Forschergruppe um Dr. Emma Slack, Dr. Siegfried Hapfelmeier und Prof. Dr. Andrew MacPherson vom Departement für Klinische Forschung der Universität Bern und der Universitätsklinik für Viszerale Chirurgie und Medizin des Inselspitals: Sie untersuchten die Rolle der „alten“ Immunzellen und entdeckten dabei ein ausgeklügeltes Zusammenspiel mit den „modernen“ Immunzellen in der Bakterien-Abtötung. Ausserdem wiesen sie nach, dass ein Gendefekt dieses Zusammenspiel und somit das gesamte Immunsystem aus dem Gleichgewicht bringt.
Gendefekt lässt Immunreaktion überborden
Da ständig Bakterien durch die dünne Darmschleimhaut dringen, müssen sie an dieser Stelle schnell eliminiert werden. Wenn aber die „alten“ Immunzellen nicht richtig funktionieren, gelangen zu viele Bakterien vom Darm in den Blutkreislauf, worauf die „modernen“ Immunzellen stärker reagieren, um diesen Schaden zu kompensieren. Diese Kompensation kann beinahe perfekt sein, und der betroffene Organismus bleibt trotz einer geschwächten Bakterien-Abtötung gesund. Die verstärkte „moderne“ Immunantwort kann den Darm aber auch ernsthaft schädigen – wie dies vermutlich bei Morbus Crohn der Fall ist: Bei dieser Krankheit verursacht eine überbordende Immunreaktion gegen gutartige Darmbakterien schwere chronische Darmentzündungen. Wie dasselbe Forscherteam bereits früher nachwies, tragen viele Morbus Crohn-Patienten eine Mutation in einem bestimmten Gen, welches für die Entstehung der „alten“ Immunzellen von zentraler Bedeutung ist. Nun zeigten sie bei Mäusen auf, wie beim selben Gendefekt die „moderne“ Immunreaktion aus dem Ruder läuft.
Die durch das gestörte Immunsystem entstehenden chronischen Darmkrankheiten schränken die Lebensqualität der Betroffenen stark ein. Die Forscherinnen und Forscher sind daher überzeugt, dass ein besseres Verständnis der Krankheitsentstehung die Entwicklung erfolgreicher Behandlungsmethoden massiv beschleunigen wird.
Weltweit führendes Berner Forschungszentrum im Aufbau
Der menschliche Darm enthält eine gewaltige Zahl von Bakterien – etwa 10mal mehr als menschliche Zellen im ganzen Körper. Der grösste Teil sind relativ harmlose Mikroben, die bei der Verdauung und bei der Produktion lebensnotwendiger Vitamine helfen. Der Darm ist hochgradig angepasst: Sowohl bei der Nährstoffaufnahme als auch bei der Kolonisation mit Bakterien. Besonders Letztere bedarf einer enormen Zahl von Immunzellen im Darmgewebe.
Ärzte und Wissenschaftlerinnen der Universität Bern und des Inselspitals erproben nun neuartige Diagnostik- und Therapiemethoden für Störungen des Immunsystems, welche Darmprobleme verursachen und bisher nur schwer zu diagnostizieren und therapieren waren. Der Schwerpunkt liegt auf Patienten mit klassischen chronisch entzündlichen Darmerkrankungen, sowie Patienten mit Durchfall oder Bauchschmerzen ohne klare Diagnose. Dabei wird durch Investitionen in eine neuartige wissenschaftliche Infrastruktur und die Rekrutierung eines hochkarätigen Teams internationaler Forscherinnen und Ärzte ein weltweit führendes Berner Forschungszentrum für Darmerkrankungen aufgebaut.
Quelle: Universität Bern