Ungewöhnliche Moleküle in der „Angewandten Chemie“
Wie entsteht ein Schaufelrad aus einem Doppeldecker? Durch Tageslicht! Was nach skuriller Ingenieurs-Phantasie klingt, haben Marburger Chemiker jetzt für ungewöhnliche Moleküle gezeigt, die im Zentrum eines Zinnsulfid-Clusters eine Zinn-Zinn-Bindung enthalten. Die Wissenschaftler beschreiben die einprägsamen Strukturen der beteiligten Verbindungen in der angesehenen Fachzeitschrift „Angewandte Chemie“.
Die Arbeitsgruppe von Professorin Dr. Stefanie Dehnen ist auf chemische Komplexe spezialisiert, die auf Chalkogenidometallaten basieren. „Diese Verbindungen enthalten Strukturelemente von Metallsulfiden, Metallseleniden oder Metalltelluriden, die für den Halbleiterbereich interessant sind, in nanoskaliger Form“, führt Dehnen aus. Um solche Cluster gruppieren sich im jüngst beschriebenen Fall organische Moleküle, die sich als Ankerstellen für weitere Seitengruppen eignen, was sie für die Wissenschaftler interessant macht.
Normalerweise ist die Herstellung eines solchen Moleküls „mit erheblichen Anstrengungen verbunden“, wie Dehnen erläutert. Umso bemerkenswerter ist es, dass die vorliegende Umsetzung bei Tageslicht ohne weiteres Zutun geschieht. Dabei starten die Marburger Chemiker zunächst mit der Synthese einer neuartigen, komplexen Verbindung, deren Gerüst aus zwei parallelen Ringen besteht – die Autoren sprechen von einer „Doppeldecker-artigen“ Topologie. Unter Lichteinfluss erfolgt eine allmähliche Umwandlung: „Innerhalb von drei Tagen bilden sich gelbe Kristalle, während die Ausgangsverbindung verschwindet“, heisst es im Bericht der Forscher.
Durch Einkristall-Strukturanalyse konnten die Wissenschaftler die räumliche Gestalt des entstandenen Moleküls ermitteln, die bislang unbekannt war. Es besteht aus einer zentralen Hantel aus zwei Zinnatomen, umgeben von einer Schaufelrad-artigen Anordnung dreier Seitengruppen. Auch den Mechanismus der Umwandlung hat die Marburger Arbeitsgruppe unter die Lupe genommen. Die Autoren nehmen aufgrund experimenteller und theoretischer Arbeiten an, dass die Reaktion einen „lichtinduzierten, kurzlebigen Übergangszustand mit geschwächten Bindungen passiert, der eine schnelle und konzertierte Bindungsumordnung zulässt“. Umfassende quantenchemische Untersuchungen zur Modellierung des Übergangszustands sollen weitere Klärung bringen.
Quelle: Philipps-Universität Marburg