Wie wirkt sich der Klimawandel auf das komplexe Zusammenspiel in Ökosystemen aus?
30. Oktober 2008: Wie wirkt sich der Klimawandel auf das komplexe Zusammenspiel in Ökosystemen aus? – Eine Perspektive für die Vernetzung von ökologischer und physiologischer Forschung
Klimabedingte Veränderungen in marinen Ökosystemen zeigen, wie eng physiologische und ökologische Prozesse vernetzt sind. Dies beschreibt Prof. Dr. Hans-Otto Pörtner, Ökophysiologe am Alfred-Wegener-Institut für Polar- und Meeresforschung in der Helmholtz-Gemeinschaft, in der neuesten Ausgabe der Zeitschrift Science.
Ergebnisse physiologischer und ökologischer Forschung haben in den letzten Jahren gezeigt, dass das temperaturabhängige Leistungsfenster einer Art für die Empfindlichkeit gegenüber der Klimaerwärmung ausschlaggebend ist. Es bestimmt die Fähigkeit, bei unterschiedlichen Temperaturen zu wachsen, sich fortzupflanzen, Nahrung aufzunehmen oder mit anderen Arten um Platz oder Ressourcen zu konkurrieren. Bei Tieren wird dieses Leistungsfenster durch die Kapazität des aeroben Stoffwechsels und der Sauerstoffversorgung bestimmt. Dies sind physiologische Parameter, die am Alfred-Wegener-Institut an Meerestieren untersucht werden. Das Leistungsfenster wird durch die Temperatur begrenzt und spiegelt die Spezialisierung auf das Klima , erklärt Pörtner. Es verschiebt sich mit saisonaler Temperaturanpassung und im Wechsel zwischen verschiedenen Lebensstadien , so der Biologe weiter.
Wissenschaftler konnten bislang folgende Veränderungen in Ökosystemen beobachten: die polwärtige Ausdehnung oder Verschiebung bio-geographischer Verbreitungsräume, die örtliche Minderung oder Auslöschung vormals häufiger Bestände, Verschiebungen in der zeitlichen Abfolge biologischer Prozesse, die veränderliche Verfügbarkeit von Nahrung sowie Veränderungen in Nahrungsnetzen. Viele dieser Veränderungen werden überwiegend durch die Temperatur bewirkt. Dabei zeigt eine Zusammenstellung bisheriger Ergebnisse in aquatischen Tiergemeinschaften, dass physiologische Analysen einen wichtigen Beitrag leisten können, den Hintergrund dieser Veränderungen aufzuklären und künftige ökologische Trends vorherzusagen. Nicht nur die Kenntnis der wirksamen Klimafaktoren, sondern auch der betroffenen physiologischen Mechanismen ist erforderlich, um die Beobachtungen von ökologischen Auswirkungen zu verstehen.
Bei vielen Fischen sind die Eier und die Larvenstadien besonders empfindlich, während zum Beispiel Jungfische relativ robust gegenüber Temperaturveränderungen reagieren. Aber auch trächtige Weibchen, die den Laich produzieren, haben ein schmales Leistungsfenster, sind also gegenüber Schwankungen empfindlich. Durch den Klimawandel liegt beispielsweise die Temperatur in der Nordsee im Winter mittlerweile über dem Leistungsoptimum des Kabeljau, der in der Nordsee am südlichen Rand seines Verbreitungsgebietes lebt. Diese Art kann jedoch weiter nach Norden ausweichen. Allerdings ist von Bedeutung, dass die Leistungsfenster von Arten auch aus dem gleichen Lebensraum unterschiedlich ausgeprägt sein können und nur in einem begrenzten Temperaturbereich überlappen. Daher haben klimatische Verschiebungen Auswirkungen auf die Beziehungen zwischen den Arten, zum Beispiel ihre Konkurrenzfähigkeit oder die Verfügbarkeit von Beute in Räuber-Beute-Beziehungen. Auch die jahreszeitliche Abfolge von biologischen Prozessen wird durch die Temperaturabhängigkeit der Leistungsfenster beeinflusst.
Nach neueren Kenntnissen wird bei empfindlichen Arten das temperaturabhängige Leistungsfenster durch weitere Stressoren wie die Ozeanversauerung verengt. Dies lässt Auswirkungen unter anderem auf die Leistungsfähigkeit und das Verbreitungsgebiet erwarten. Es gibt mittlerweile einige Beispiele, in denen das Leistungsfenster im Klimawandel mit den genannten Konsequenzen nachweislich überschritten wird: bei Kabeljau und Aalmuttern in der Nordsee, bei Sardinen der Japanischen See, sowie bei Lachsen im Frazer-River in Westkanada. Die Berücksichtigung dieser Prinzipien in der Klimafolgenforschung und bei verschiedensten Organismen wird von grosser Bedeutung für das Verständnis von Ursache und Wirkung sein.
Quelle: Alfred-Wegener-Institut