Stammzellen auf Selbsterneuerungskur
Max-Planck-Forscher aus Münster entdecken ein kleines Molekül, mit dem sich Stammzellen im Labor erheblich leichter als bisher vermehren lassen
Ein kleines Molekül hält Stammzellen vermehrungs- und wandlungsfähig: Die einfach gebaute Substanz namens SC1, die Forscher des Max-Planck-Instituts für molekulare Biomedizin in Münster zusammen mit kalifornischen Kollegen aufgespürt haben, hilft Stammzellen im Labor dabei sich selbst zu erneuern. Sie behalten so auch die Fähigkeit, sich in viele unterschiedliche Zellen zu differenzieren. Die Zellen pluripotent zu halten, war im Labor bisher nur mit grossem Aufwand möglich. Zudem lieferte das herkömmliche Verfahren nur verunreinigte Zellen. Für denkbare medizinische Anwendungen eignen sich aber nur sehr saubere Zellen. Bei der Suche nach der neuen Substanz haben die Wissenschaftler auch neue Erkenntnisse gewonnen, wie sich Stammzellen vermehren (PNAS, 31. Oktober 2006).
Embryonale Stammzellen könnten künftig helfen, viele verschiedene Krankheiten zu lindern oder zu heilen, weil sie pluripotent sind. Das heisst, sie können sich sowohl im Körper als auch in der Kulturschale in viele verschiedene Zellen eines Organismus verwandeln. Im Labor wollen Wissenschaftler aber erst viele pluripotente Zellen erhalten, die sich anschliessend in spezialisierte Zellen differenzieren. Nur so gelangen sie an eine ausreichende Zahl spezialisierter Zellen, um sie eventuell für Therapien einzusetzen.
Das kleine Molekül SC1 macht das möglich. Wissenschaftler vom Max-Planck-Institut für molekulare Biomedizin in Münster, vom Scripps Research Institute in La Jolla und vom Genomics Institute der Novartis Research Foundation in San Diego haben es entdeckt. Es verhindert, dass sich die Zelle spezialisiert und ihre Pluripotenz verliert. „Mit Hilfe dieses Moleküls können wir Stammzellen künftig sauber und auf relativ einfache und preiswerte Weise vermehren. Über eine sehr lange Zeit haben wir die Stammzellen von Mäusen damit im undifferenzierten Zustand gehalten“, sagt Jeong Tae Do, einer der beteiligten Max-Planck-Forscher: „Für die Stammzellenforschung ist das ein wichtiger Fortschritt.“
Bislang war es sehr mühsam Stammzellen im Labor so zu halten, dass sie pluripotent bleiben, wenn sie sich teilen. Die Forscher mussten sie zum Beispiel auf Nährzellen, also fremden tierischen Zellen, sowie in Kälberserum züchten und noch eine Reihe teurer Substanzen hinzufügen. Menschliche Stammzellen würden schon deshalb nicht für medizinische Anwendung taugen, weil sie mit tierischen Produkten verunreinigt wären.
SC1 wirkt dabei nicht nach demselben Prinzip wie der Cocktail, den Forscher bislang als Jungbrunnen für Stammzellen verwendeten. „Erstaunlicherweise blockiert es gleich zwei Enzyme, die an der Differenzierung beteiligt sind“, sagt Jeong Tae Do. Eines dieser Enzyme heisst RasGAP. An dieses Enzym bindet SC1 an einem frühen Punkt des Reaktionspfades, der über das Schicksal der Zelle entscheidet. Auf diese Weise aktiviert SC1 indirekt ein Protein, das sowohl Differenzierung als auch Selbsterneuerung vorantreibt. Später gabelt sich der Pfad zu beiden Optionen. Dort nimmt SC1 seine zweite Aufgabe wahr und blockiert die Kinase ERK1, die an der Differenzierung wesentlich mitwirkt. So verstellt es den Weg zur Spezialisierung, und die Stammzelle muss sich erneuern. Ob diese beiden biochemischen Signalpfade auch bei der Selbsterneuerung von Stammzellen eine Rolle spielen, war bislang noch unklar. Völlig neu ist, dass SC1 die Differenzierung mit Hilfe dieser Doppelstrategie blockieren kann.
Um ein neues Mittel zu finden, das Stammzellen im Labor pluripotent hält, gingen die Wissenschaftler nach dem Zufallsprinzip vor: Sie testeten 50000 Substanzen, und am Ende blieb SC1, das auf dem Grundbaustein Dihydropyrimidopyrimidin basiert, als das am besten geeignete übrig. Die Forscher haben anschliessend geprüft, ob sich Stammzellen, die mit SC1 behandelt wurden, auch mit lebenden Organismen vertragen. Zu diesem Zweck injizierten die Wissenschaftler eine solche Zelle der Blastocyste einer Maus – einer schon mehrfach geteilten befruchteten Eizelle. Auf diese Weise erzeugten sie eine chimäre Maus. Die Maus hat also anschliessend zwei verschiedene Genome, die der Eizelle und die der eingeschleusten Stammzelle. In der chimären Maus mit der SC1-behandelten Stammzelle integrierten sich Zellen, die aus der eingeschleusten Stammzelle hervorgegangen waren, in allen Organen. Damit bewiesen die Forscher, dass Stammzellen, die sie mit SC1 behandeln, voll einsatzfähig bleiben.
Quelle: Max-Planck-Gesellschaft